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Obwohl der Diplom-Ingenieur das Schmuckstück der akademischen Welt in Deutschland ist, droht er auszusterben: Immer weniger Studenten verlassen die Hochschulen als „Dipl. Ing“, weil es immer mehr Bachelor-/Masterstudiengänge gibt.

Er ist das Schmuckstück der akademischen Welt in Deutschland: der Diplom-Ingenieur. Er ist der Erfinder, der Wirtschaftswundermann, der Exportweltmeister, das Fundament unseres Wohlstands. Der Diplom-Ingenieur ist eine global geachtete Marke – doch zugleich eine Spezies, die auszusterben droht.

Immer weniger Diplom-Ingenieure verlassen die Hochschulen. Das hat nichts mit der oft beklagten Technikfeindlichkeit des Nachwuchses zu tun, sondern mit der Bologna-Reform: Mit der Einführung der gestuften Studiengänge Bachelor und Master wurde der Titel Diplom-Ingenieur abgeschafft. Die meisten Universitäten und Fachhochschulen haben ihre Studiengänge umgestellt. Wer in den kommenden Semestern die Hochschulen verlässt, trägt nicht mehr den klangvollen Titel Diplom-Ingenieur, sondern Master of Science.

„Ein schwerer Fehler“

Eigentlich sollte die Reform bereits in diesem Jahr umgesetzt sein, doch vor allem die Technischen Universitäten wehren sich gegen die neue Studienstruktur: Seit Kaiser Wilhelms Zeiten gilt der Diplom-Ingenieur als deutsches Markenzeichen, man wäre doch mit dem Klammerbeutel gepudert, würde man diesen Titel beerdigen, heißt es.

„Die Abschaffung des Abschlusses Diplom-Ingenieur war ein schwerer Fehler”, heißt es in einer Erklärung der „TU9”, einem Verbund der neun großen deutschen Technischen Universitäten. Sie verlangen, die Politik solle diesen Abschluss an Stelle des ungeliebten Master wieder ermöglichen. Eine Forderung, der sich auch die TU Dortmund anschließt. Das Markenzeichen der deutschen technischen Ausbildung müsse erhalten bleiben. Dies sei auch innerhalb der neuen Studienstruktur möglich. „Wir sind für die Bologna-Reform und für den Diplom-Ingenieur. Dies ist kein Gegensatz”, sagt Prof. Ernst Schmachtenberg, Rekor der RWTH Aachen und TU9-Präsident. Ziel ist es, den alten akademischen Abschlussgrad beim erfolgreichen Abschluss des Masterstudiums wieder verleihen zu dürfen.

Mit ihren Forderungen wollen die Technischen Hochschulen von eigenen Versäumnissen ablenken, meinen indes Kritiker, wie der wirtschaftsnahe Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft: „Sie haben über viele Jahre den Diplom-Ingenieur verteidigt, statt die überholte Trennung von Theorie und Praxis in den alten Ingenieurstudiengängen aufzugeben und fachlichen Ballast abzuwerfen”, antwortete Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbandes, auf die Klage der TU9. Die Ingenieurfakultäten müssten sich endlich auf die Reform einlassen.

Kultur des Rausprüfens

Tatsächlich sank mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge die Zahl der Studienabbrecher, was ein erklärtes Ziel der Reform war. In technischen Fächern wie Elektrotechnik, Maschinenbau, Mathematik, Physik und Chemie aber gingen sie in die Höhe, ergab eine Erhebung des Hochschulinformationssystems (HIS) für das Studienjahr 2008. Viele sehen dies als Indiz dafür, dass diese Fächer ihren Diplom-Stoff in den sechssemestrigen Bachelor stopften und damit die Studierenden überforderten.

„Die technischen Universitäten haben es versäumt, sich auf die neue Struktur umzustellen”, sagt Frank Stäudner, Sprecher des Stifterverbands. Immer noch würden bis zum Bachelor-Abschluss fast ausschließlich Grundlagen und Theorie gepaukt, erst in der Masterphase komme die Anwendung. So kann ein Bachelor-Absolvent schlecht in den Beruf gehen. Die hohen Abbrecherquoten seien auch das Ergebnis einer traditionellen „Kultur des Rausprüfens” und eines „falsch verstandenen Elite-Kults”, so Stäudner. Zwar habe auch der Stifterverband nichts dagegen, auf die Examens-Urkunde den Titel „Diplom-Ingenieur” zu drucken, doch dürfe dies nicht pure Kosmetik bleiben. Die Fächer müssten sich auf die Bologna-Struktur umstellen und auch nach sechs Semestern einen qualifizierten Ingenieur-Abschluss anbieten.

„Wir haben kein Problem mit dem Master, die Studenten sind genauso gut ausgebildet wie Diplom-Ingenieure”, sagt Prof. Roland Span, Prodekan der Fakultät für Maschinenbau an der Ruhr-Universität Bochum. Doch er bedauert, dass der Ingenieur verschwindet und mit ihm eine bestimmte Wissenschaftskultur. Laut Gesetz darf ein Studium nicht zu zwei Titeln führen. Doch werde seine Fakultät auf den Examensurkunden vermerken: Master of Science, Äquivalent zum Diplom-Ingenieur. „So bleibt der Begriff bestehen.” Was der Student später auf seine Visitenkarte druckt, bleibt ihm überlassen.