Hamburg/Essen. .
Keine Frage: Der Stadtstaat Hamburg hat in Sachen Bildung eine Menge aufzuholen. Mehr als in anderen Bundesländern hängt hier der Lernerfolg vom Elternhaus ab. „Herkunftselite” nennt Hamburgs Senatorin Christa Goetsch (Grün-Alternative Liste) die leistungsstarken Schüler.
Dass begabte Migrantenkinder – immerhin hat jedes zweite Kind in Hamburg ausländische Wurzeln – automatisch auf der Hauptschule landen, will der Stadtstaat mit einer umfassenden Schulreform beenden: mit längerem gemeinsamen Lernen bis zum Ende der sechsten Klasse und einer parallel zum Gymnasium laufenden Stadtteilschule, die nach 13 Jahren das Abitur ermöglicht.
So glatt das Vorhaben politisch über die Bühne ging – alle vier Bürgerschaftsfraktionen CDU, GAL, SPD und die Linke tragen es mit –, so groß ist der Widerstand in der Bevölkerung. Zäh und unnachgiebig hat die Elterninitiative „Wir wollen lernen” so lange gegen die neue Primarschule gewettert, bis sie mit einer Unterschriftenaktion einen Volksentscheid erzwingen konnte. Der wird an diesem Sonntag über die Zukunft der Reform entscheiden und womöglich für große politische Unruhe sorgen.
Ursprünglich ging die Initiative vom bürgerlichen Teil der Stadt aus, eben von den Eltern der so genannten Herkunftselite. Der kann nicht verstehen, dass ausgerechnet der CDU-Bürgermeister Ole von Beust sich so vehement für die Schulreform einsetzt, die, so die Kritiker, den Gymnasiasten zwei wertvolle Jahre stiehlt auf dem Weg zum Abi nach Klasse zwölf.
„Wie in Düsseldorf“
Christdemokrat von Beust wiederum ließ in den vergangenen Wochen und Monaten kaum ein gutes Haar an der Elite: „Der Reichtum wird heute erbarmungslos gezeigt. Die Uhren werden immer größer, die Autos immer chrombeladener”, zitiert ihn die „Zeit”, „inzwischen wird in Hamburg genauso angegeben wie in Düsseldorf.”
Anlass für diese lästerlichen Äußerungen gab es genug. So ereiferten sich aufgeregte Eltern aus dem edlen Vorort Blankenese: „Dass ein Arbeiterkind mit dem Kind eines Vorstandsvorsitzenden nachmittags spielt, und davon profitiert, mag vielleicht manchmal funktionieren. In der Regel wird das jedoch nicht der Fall sein.“
Für die Medien war nun klar: Die Schulreform legt die immer härteren sozialen Gegensätze in Hamburg offen. Statt zu beschwichtigen, schürte der Bürgermeister die Auseinandersetzung, indem er einigen Reformgegnern Ausländerfeindlichkeit vorwarf. Es habe ihn überrascht, dass manche Gegner „so unverhohlen sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder länger als notwendig mit Kindern mit Migrationshintergrund zur Schule gehen”.
Doch die Reformgegner rekrutieren sich nicht nur aus dem elitären Teil der Hamburger Bevölkerung. Immer mehr Menschen lehnen inzwischen generell das schwarz-grüne Bündnis ab, das zwar zu einer modernen Großstadt passt, aber nicht zur großen konservativen Wählerschaft. In Umfragen verlieren beide Koalitionspartner, eine Mehrheit hätten sie derzeit nicht.
Kopf-an-Kopf-Rennen
Soziale Gegensätze und Po-litikverdrossenheit also könnten eher den Ausgang der Abstimmung bestimmen als die Inhalte der Schulreform. Klar ist schon jetzt: Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben, so die Einschätzung des Hamburger Abstimmungsleiters Willi Beiß. Womit die Hamburger Koalition bereits verloren hat. Sie kann nur durch ein eindeutiges Votum für die Reform Stabilität gewinnen.