Düsseldorf. .

Hannelore Krafts Aufstieg begann, als die SPD in Trümmern lag. Mit vielen kleinen und größeren Schritten hat sie die Partei neu justiert. Ihre Familie gibt der neuen NRW-Ministerpräsidentin Energie.

Mit Hannelore Kraft ging es bergauf, als es mit der SPD bergab ging. Krafts eigentliche Karriere begann vor fünf Jahren. Ihre Partei lag in Trümmern. Da übernahm die Mülheimerin die Leitung einer von 101 auf 74 Mandate geschrumpften SPD-Landtagsfraktion. 18 Monate später vertrauten die noch immer wie gelähmt wirkenden Genossen der Oppositionsführerin auch den Vorsitz ihrer Landespartei an. Eine solche Machtfülle hatte sich in der NRW-SPD seit Johannes Rau nicht mehr auf eine Person konzentriert. Aber anders als zur seligen „Bruder Johannes“-Zeit war die SPD inzwischen ein Sanierungsfall. Finanziell. Personell. Inhaltlich. Mental.

Zum Wechsel gedrängt

Heute sind die Millionen-Schulden der Partei abgebaut. Kraft hat junge Leute um sich geschart, unter denen Talente für die höhere Liga zu entdecken sind. Mit vielen kleinen Schritten und größeren wie für Nicht-Mitglieder offene „Zukunftswerkstätten“ hat Kraft die Partei inhaltlich neu justiert. Dass nach einem Landtagswahlergebnis ohne klare Mehrheiten kein offener Richtungsstreit in der nordrhein-westfälischen SPD ausbrach, gilt als ihr Meisterstück. Mit jedem Tag, an dem die Lage für die SPD komplizierter zu werden schien, wirkte Kraft wie ein erfahrener Käpt’n, dem es selbst im schwersten Sturm gelingt, der Crew die Furcht vor dem Kentern zu nehmen. Und dies in einer Lage, in der nicht abzusehen ist, wann mit einer Entwarnung vom Wetterdienst, geschweige denn mit dem Einlaufen in einen sicheren Hafen zu rechnen ist.

Wieder und wieder hat Kraft nach dem 9. Mai die Basis über den Stand der Dinge aufgeklärt. Regionalversammlungen, früher nur für auserwählte Genossen veranstaltet, wurden für alle Mitglieder geöffnet. „Dieser Strategiewechsel hat sehr belebend gewirkt“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete und Politikwissenschaftler Rainer Bovermann. Nach vielen gescheiterten Gesprächen über Möglichkeiten zur Bildung einer stabilen Koalition musste sich „Käpt’n Kraft” allerdings – von den Grünen und eigenen Leuten – erst dazu drängen lassen, das Kommando für den Kurswechsel Richtung Minderheitsregierung zu geben.

„Meine Kraftzentrale ist meine Familie“

Ein Wagnis, mit dem Kraft aber für die Sozialdemokraten zurückerobert, was ihnen in der Wahlnacht 2005 nach 39 Jahren so schmerzlich abhanden kam: die Macht an Rhein und Ruhr. Ob es ihr damit gelingen kann, die SPD nachhaltig aus ihrer Depression der Nach-Schröder-Zeit zu führen, hängt davon ab, ob dieses Experiment gelingt. Für den Moment jedoch hat Kraft sich und ihre Partei mit dem zweitschlechtesten Landtagswahlergebnis in der Geschichte der NRW-SPD sehr weit gebracht.

Das alles kostet viel Energie. „Meine Kraftzentrale ist meine Familie“, sagt die 49-Jährige, die jetzt als erste Frau die nordrhein-westfälische Regierung führt. Daheim in Mülheim an der Ruhr warten Ehemann Udo, gelernter Elektromeister mit Festanstellung bei einer großen Mülheimer Immobiliengesellschaft, ihr 17-jähriger Sohn Jan und Mutter Anni Külzhammer, die mit im Haus ihrer erfolgreichen Tochter lebt.

Urlaub im Sauerland

Bevor Hannelore Kraft als Seiteneinsteigerin erstmals 2000 für die SPD in den Landtag einzog, arbeitete die Bankkauffrau und Diplom-Ökonomin als Unternehmensberaterin. Dort hat sie gelernt, Schritt für Schritt voranzugehen. Ihr persönliches Motto lautet: „Nutze den Tag”. Anders als bei vielen Alpha-Männern in der Politik ist bei ihr die Angst vor dem Scheitern offenbar weniger ausgeprägt. Selbstbewusst sagt sie: „Fehler haben mich immer vorangebracht.”

Ihre SPD bezeichnet sie am liebsten als „Kümmerer-Partei”. Um als Ministerpräsidentin nicht das Gespür für die Probleme der Menschen zu verlieren, will sie einmal im Monat einen Tag in einer Sozialeinrichtung oder mit Arbeitern in einem Betrieb verbringen. „Damit ich geerdet bleibe.” Überhaupt will Kraft so bodenständig weiterleben wie bisher. Mit „Bratkartoffeln mit Spiegelei“ und zehn Tagen Sommerurlaub im Sauerland.