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Mit einer Verfassungsbeschwerde wollen über 10.000 Bürger die geplante Volkszählung 2011 stoppen. Am Freitag soll die Klage in Karlsruhe eingereicht werden. Die EU will im kommenden Mai eine europaweite Befragung starten.
Bürgerrechtler reichen am Freitag eine Verfassungsbeschwerde gegen die Volkszählung 2011 ein. Sie werfen der Bundesrepublik vor, zu tief in die Privatsphäre der Bürger blicken zu wollen. Mehr als 10.000 Bürger haben die Beschwerde per Online-Votum unterstützt.
Der „Zensus 2011” ist Teil einer EU-weiten Volkszählung. Ermittelt werden soll stichprobenartig, wie viele Menschen in einem Land oder in einer Stadt leben, wie sie leben, wohnen und arbeiten. Im Mai 2011 soll die große Befragung starten. Wer dann einen Fragebogen bekommt, ist zum Ausfüllen verpflichtet.
Vater Staat möchte seine Kinder zählen. Er hat nur noch einen groben Überblick über all die Müllers und Maiers und Arslans im Land. Im Mai 2011 steht daher die erste Volkszählung seit 23 Jahren an. Den Bürgern war das bisher einerlei, nun regt sich doch noch überraschend heftiger Widerstand: Am Freitag werden Bürgerrechtler Verfassungsbeschwerde einreichen.
Massenbeschwerde
Es ist die bisher drittgrößte Massenbeschwerde, mit der sich Karlsruhe beschäftigen muss. 10.000 Protest-Bekundungen gegen die Volkszählung 2011 hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung in wenigen Wochen online gesammelt. Die Beschwerde landet kurz vor Ablauf der Jahresfrist bei den Richtern: Das Zensusgesetz trat am 16. Juli 2009 in Kraft.
„Riskant ist, dass die Daten vier Jahre lang zusammen mit einer eindeutigen Personenkennziffer gespeichert werden. Es heißt zwar, dass alle Informationen anonymisiert werden. Es dürfte dennoch möglich sein, anschließend Rückschlüsse auf einzelne Personen zu ziehen”, sagt der Künstler und Internet-Aktivist Padeluun dieser Zeitung. Er und die anderen Beschwerdeführer bemängeln auch Fragen nach der Religionszugehörigkeit der Bürger. „Das ist zwar eine freiwillige Angabe, aber wer denkt schon daran?”, fragt Padeluun, der den Bielefelder Datenschutzverein Foebud gegründet hat.
Angaben zur Religion
Dritter Kritikpunkt: Es werden nicht nur, wie vom Staat oft herausgestellt, lediglich sieben bis zehn Prozent der Deutschen befragt, sondern tatsächlich jeder dritte Bürger. Klaus Pötsch vom Statistischen Bundesamt bestätig dies. Zusätzlich zur Haushalts-Stichprobe, die bei etwa acht Millionen Bürgern durchgeführt werde, müssten alle Immobilienbesitzer einen Fragebogen ausfüllen, und das sind etwa 17 Millionen. Eine „Extra-Erhebung” soll es bei Bürgern geben, die in Gemeinschaftsunterkünften leben: Bewohner von Studentenwohnheimen, Patienten in Psychiatrien, Strafgefangene...
Das Gros der Daten will der Staat allerdings in amtlichen Melderegistern und bei der Agentur für Arbeit sammeln. Klaus Pötsch glaubt nicht an eine Missbrauchs-Gefahr. „Es gibt strenge Restriktionen beim Umgang mit Daten, alle Informationen bleiben bei den statistischen Ämtern”, beteuert er. Die Frage nach der Religion sei nachträglich in den Fragenkatalog aufgenommen worden und klar als freiwillige Angabe gekennzeichnet. International seien Volkszählungen alle zehn Jahre üblich. Pötsch: „Deutschland hat sozusagen einmal ausgesetzt und muss sich nun dringend auf den neuesten Stand bringen.” Denn an diesen Daten werde zum Beispiel der Länder-Finanzausgleich errechnet und die Einteilung der Wahlkreise. Auch für die Planung von Schulen, Kliniken und Seniorenheimen müsse man wissen, wie viele Menschen wo leben und wie alt sie sind.
Karlsruhe muss entscheiden
Staatsrechtler Dirk Heckmann von der Uni Passau blickt mit Spannung auf die aktuelle Verfassungsbeschwerde: „Das Bundesverfassungsgericht ist sensibel, wenn es um den Schutz der Privatsphäre geht, und es geht ja auch bei der Volkszählung um die Privatsphäre der Bürger, konkret um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.” Zwar würden vor allem Daten gesammelt, die die Behörden heute schon haben. „Aber die wurden ja eigentlich zu einem anderen Zweck archiviert. Bei der Volkszählung werden die Daten im neuen Kontext verwendet. Karlsruhe muss nun entscheiden, ob dieser Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt ist.”