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Diese Geschichte über die SPD in Nordrhein-Westfalen ist die Geschichte einer Häutung. Sie beginnt in Bottrop-Kirchhellen, in einem Saal des örtlichen Brauhauses mit einem Blick in das Gesicht einer Kohlepartei.

Hier haben sich im November 2008 Kumpel der alten Zechengewerkschaft IGBCE versammelt. Kräftige Männer, mit harten Mienen und dunklen Anzügen. Hannelore Kraft redet zu ihnen als SPD-Landeschefin auf der Suche nach Unterstützung für ihre Kandidatur als Ministerpräsidentin. Sie sagt: „Steinkohle und Braunkohle haben einen unverzichtbaren Platz in der Energieversorgung.“ IGBCE und SPD würden gemeinsam die „Tür für einen Sockelbergbau offenhalten. Wir werden weiter dafür kämpfen.“

Die Männer klatschen. Sie wollen den Ausstieg aus dem Kohleausstieg, wie ihn CDU und FDP in Düsseldorf voran getrieben haben. Sie haben eine Kampagne gestartet und setzen auf die Unterstützung der SPD-Frontfrau, die diese auch gewährt.

Kuchen und Platzdeckchen

Ein starkes Bündnis? Ein Blick durch den Saal offenbart mehr als Worte. In der Bottroper Brauerei sitzen nur rund 100 Leute – doppelt so viele würden reinpassen. Nebenan gibt es Kaffee und Kuchen auf Platzdeckchen.

Heute ist es Sommer, fast zwei Jahre später. Die SPD hat einen neuen Koalitionsvertrag unterschrieben. Darin ist nicht die Rede von einem unbedingten Kampf für den Sockelbergbau. Stattdessen wird bestätigt, dass man grundsätzlich am Beschluss zum Ausstieg samt Revisionsklausel festhalte. Dann wird auf Berlin verwiesen, auf die Finanzen. Nur noch optisch, so scheint es, wird die Frage nach einem Sockelbergbau offengelassen.

SPD im Wandel

Die SPD ist in der Opposition eine andere geworden. Nirgendwo sonst lässt sich das so klar nachzeichnen, wie in der Frage der Steinkohle- und Energiepolitik. Einst die Partei der bergmännischen Traditionschöre, kämpfen heute Genossen gegen Steinkohlekraftwerke und für andere Energiestrukturen. Die SPD, sie hat sich gehäutet.

Frank Schwabe ist einer der Männern im Hintergrund, die für diese Häutung stehen. Sein Gesicht ist jung, fast weich. Schwabe ist 39, klimaschutzpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag und Kreisvorsitzender in Recklinghausen. Er sagt: Die Mehrheit in der Partei habe akzeptiert, dass die Zukunft nicht in der Verteidigung überholter Energiestrukturen liege. „Wir würden sonst mit ihnen untergehen.“ Es geht Schwabe um die Gestaltung der Zukunft. Die Kraft dafür holt er aus seiner Vergangenheit. „Ich weiß, woher ich komme“, sagt er, fast trotzig. „Meine beiden Großväter haben im Bergbau gearbeitet, mein Vater auch. Ich bin IGBCE-Mitlied, zweifacher Ehrenhauer. Und ich bin mir sicher: Es wird aus rein ökonomischen Gründen kein großes Kohlekraftwerk mehr neu gebaut werden.“

Suche nach der Antwort

Wenn es keine neuen Kohlekraftwerke geben soll und die alten irgendwann abgeschaltet werden, braucht man dann den subventionierten Sockelbergbau? Die Frage nach der Kohlekraft und der Kohle gehören zusammen, und die neue SPD sucht eine Antwort.

NRW soll sich nach ihrem Willen vom Kohle-Land zur ökologischen Industrieregion wandeln. Nahezu CO2-frei soll die Industrie zur Mitte des Jahrhunderts sein, so haben es die Sozialdemokraten im Koalitionsvertrag mit den Grünen festgeschrieben.

Brüche

Welch ein Bruch. Die neue SPD glaubt fest daran: Eine IGBCE-Demo für den Erhalt der Kohle würde weniger Teilnehmer haben als ein Marsch gegen Kohlekraftwerke.

Schwabe erinnert an den SPD-Parteitag 1995 in Hagen. Tausende Demonstranten hatte die IGBCE mobilisiert, um für die Braunkohle und gegen die Koalition mit den Grünen zu protestieren. „Dieser Protest hatte Kraft. Diese Kraft für eine solche Position ist heute nicht mehr da.“

Die nächste Generation

Schwabe ist nicht alleine. Er spricht für eine neue Generation von Umwelt- und Energiepolitikern in der SPD. So haben mit ihm noch drei SPD-Männer aus NRW in der Bundestagsfraktion für eine neue Energiepolitik an Rhein und Ruhr gestritten. Zunächst der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber (42) aus Bonn, dann Marco Bülow (39) aus Dortmund und Dirk Becker (44) aus dem Wahlkreis Lippe. Frank Schwabe sagt: „NRW ist ein Industriestandort, er wird es bleiben. Welche Industrie aber meinen wir? Für mich ist eine Energiestruktur nur dann zukunftssicher, wenn sie im Kern auf erneuerbare Energien aufbaut, auf Klimaschutz.“