Berlin/Feisabad. .
Die Afghanen wünschen sich den Verbleib der Bundeswehr. Ein Deutscher Diplomat warnt: Ein früher Abzug wäre ein schwerer Fehler. Doch die Regierung will 2011 die ersten deutschen Soldaten zurückholen.
Die Szene ist vier Wochen her. „Wir würden alles verspielen, was es an mühsam erzieltem Fortschritt gibt“, sagen sie den Journalisten aus Europa, „leider dürfen wir das wegen denen in Berlin nicht laut sagen“.
Die in Berlin, das sind Bundestag und Bundesregierung, die gestern bekräftigt haben, im nächsten Jahr die ersten von derzeit 4540 Bundeswehrsoldaten aus Afghanistan abzuziehen. Dass Feisabad, hoch oben im Nordosten gelegen, zu den ersten Standorten gehören könnte, die aufgegeben werden, gilt in Kreisen von Außen- und Verteidigungsministerium als „sehr wahrscheinlich“. Weil das Gros der deutschen Streitkräfte in der internationalen ISAF-Schutztruppe für Afghanistan im ruhigen, 300 Kilometer entfernt liegenden Mazar-I-Sharif steht und weil der größte Blutzoll im ständig bittere Schlagzeilen verursachenden Kundus bezahlt wird, ist der Eindruck entstanden, die Mission in Feisabad sei erledigt.
„Es gibt immer noch unendlich viel zu tun“
Ein trügerischer Schluss. Seit 2004 ist Deutschland die tonangebende Schutz- und Aufbaumacht in der Provinz Badakshan, die im Norden an Tadschikistan, im Südosten an Pakistan und im äußersten Osten an China grenzt. Im Talkessel von Feisabad tun rund 500 Bundeswehrsoldaten Dienst, die meisten sechs Monate am Stück, geschützt von einer mongolischen Einheit. Das Lager, das vom Wachturm ausschaut wie ein sorgsam zusammenmontiertes Fort, ist weit und breit der größte Arbeitgeber. 210 Afghanen arbeiten hier, darunter vier Köche, 47 Dolmetscher und 61 Wächter. „Es gibt immer noch unendlich viel zu tun“, sagt ein Diplomat, der nicht zitiert werden möchte.
Nur 13 Prozent der gut 1,2 Millionen Einwohner der Provinz haben frisches Wasser, nur vier Prozent Elektrizität. Neben 70 Prozent Analphabeten bereitet den Hilfsorganisationen die weltweit höchste Müttersterblichkeitsrate Sorgen. Ein Abzug, wie ihn manch einer in Berlin schon Ende dieses Jahres für möglich hält, kommt aus Sicht derer, die es besser wissen, aber nicht gefragt werden, einem „folgenschweren Fehler“ gleich. Eindringlinge aus Tadschikistan und Pakistan, mächtige Drogen-Barone, frühere Warlords und gewöhnliche Kriminelle warteten nur darauf, „das zarte Pflänzchen auszutreten, das wir hier gesetzt haben“.
Als da wären: Ansätze von öffentlicher Ordnung und Sicherheit, weil allmählich das Training von afghanischen Polizisten Früchte trägt, Infrastruktur von Straße über Licht bis zu einer Brücke über die reißende Kockcha, auskömmliche Alternativen (Nüsse) zum vermaledeiten Opium-Anbau. „Wenn eure Soldaten zu früh abziehen“, sagt ein junger Afghane, der sich in Feisabad mit einer kleinen Pension eine Existenz aufgebaut hat, „kommen Chaos und Willkür zurück.“
Raketen-Beschuss
Und das, obwohl die Taliban hier traditionell wenig zu melden haben. Badakshan war einst Hochburg der Nordallianz, die erbittert gegen die selbst ernannten Gotteskrieger kämpfte. Dennoch, sagt Major Angelhett, könne man nicht ausschließen, dass über die Einflugschneise Pakistan der Versuch unternommen werde, auch diese Region „instabil zu machen“. Vorboten gab es reichlich. Die Zahl der improvisierten Sprengsätze, die am Straßenrand vergraben und ferngezündet werden, sei zuletzt „rapide gestiegen“. Vor wenigen Wochen dann zum ersten Mal der Beschuss mit einer raketengetriebenen Granate. Die deutsche Patrouille, erinnert sich Angelhett, wurde nur knapp verfehlt. Andernfalls hätte es „leicht 15 Tote“ geben können.
Und mit Toten hat der Standort Feisabad seine Erfahrungen. Bei einem Taliban-Hinterhalt am 15. April kamen in der südlich gelegenen Provinz Baghlan vier deutsche Soldaten ums Leben; darunter ein Oberstabsarzt. Alle stammten aus Feisabad. Ihre Namen stehen auf Metallschildern, die an einer Mauer auf dem Appellplatz des Lagers angebracht sind. Auf dem alten Basar von Feisabad, wo man vom Zentnersack Pistazien bis zur koreanischen Körperfettwaage alles kaufen kann, kennen die Händler die Geschichte. Sie rufen den deutschen Soldaten zu: „Bitte bleibt, wir brauchen euch.“