Essen/Darmstadt. .
„Die Elite entfernt sich vom Rest der Bevölkerung“, sagte Eliten-Forscher Michael Hartmann nach der Affäre um NRW-Landtagspräsidentin Regina van Dinther. Nun blickt er mit Sorge auf das Verhalten von Jürgen Rüttgers.
Herr Hartmann, was ging Ihnen durch den Kopf, als sie von der Kritik des Steuerzahlerbundes NRW an Jürgen Rüttgers hörten?
Michael Hartmann: „Man könnte glauben, dass die der Hang von Politikern und Wirtschaftsmanagern, sich an Geld und Privilegien zu klammern, gar kein Ende mehr nimmt. Da klagt der frühere Solar-Millennium-Chef Utz Claassen seine Antrittsprämie von zehn Millionen Euro ein. Da werden für Manager wie Linde-Chef Wolfgang Reitzle ungeheure Pensionsrückstellungen vorgenommen. Und nun will Jürgen Rüttgers Dienstwagen mit Chauffeur, einen persönlichen Referenten und eine Sekretärin, obwohl er bald gar kein Ministerpräsident mehr sein wird.
Wie kommt so etwas bei den Bürgern an?
Michael Hartmann: Das verstärkt bei den Bürgern unterschwellig eine Haltung, die ohnehin schon da ist: Die da oben sind so. Die nehmen, was sie bekommen können.
Und was die Konsequenz daraus?
Michael Hartmann: Das führt bisher nicht etwa zu Protesten, sondern zu Resignation. Die Politikerverdrossenheit nimmt zu. Man kann auch von einer Zunahme der Elitenverdrossenheit sprechen. Wir sehen das landauf, landab an den Wahlbeteiligungen.
Hat dieser Fall ein besonderes Gewicht, weil Jürgen Rüttgers immer den anständigen Politiker verkörpern wollte?
Michael Hartmann: Bei Jürgen Rüttgers wiegt dieses Verhalten besonders schwer. Er hat sich über Jahre als soziales Gewissen der CDU dargestellt. Er gab sich öffentlich teilweise sozialer als die Sozialdemokraten. Solch ein Mann müsste sich normalerweise in Bescheidenheit verabschieden. Stattdessen fordert er seine Privilegien ein.
Dürfen wir darauf hoffen, dass die öffentliche Kritik an Rüttgers andere Politiker und Manager weniger anfällig macht für Versuchungen?
Michael Hartmann: Negative Konsequenzen haben die Politiker und Manager, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen, ja nur selten zu befürchten. Da sehen dann die anderen: Bei denen ist das gut gegangen, also machen wir das auch.
Glauben Sie an einen allgemeinen Werteverfall in der Gesellschaft?
Michael Hartmann: Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Umwälzungen. Die Wirtschaft, die Gesellschaft – alles ändert sich, und die Leute sind tief verunsichert. Daher ist die Mittelschicht hin- und hergerissen. Sie hätte mehrheitlich gerne den alten Sozialstaat behalten, fragt sich aber , ob das in Zeiten der Globalisierung noch funktioniert, ob es lohnt, an alten Werten und am solidarischen Verhalten festzuhalten, oder ob es nicht besser ist, erst einmal an sich selber zu denken.