Berlin. .
In der Union sorgt die mangelnde schwarz-gelbe Geschlossenheit bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten Christian Wulff für erhebliche Unruhe. Spitzenpolitiker der CDU sprachen von einem Denkzettel für die Bundesregierung. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer verlangte, in der Berliner Koalition müsse ab sofort „Führung gezeigt“ und auf abstrakte Debatten verzichtet werden.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wandte sich mit einem eindringlichen Brief an die Mitglieder seiner Partei und mahnte: „Lassen Sie uns gerade in diesen schwierigen Zeiten zusammenstehen.“ FDP-Chef Guido Westerwelle betonte: „Wir haben einen sehr guten neuen Bundespräsidenten.“ Er finde, dass sich die Koalition „weniger mit sich selbst beschäftigen sollte, sondern mit der Lösung der Probleme, die wir für unsere Bürger auch lösen müssen“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich bereits am späten Mittwochabend gegen Mutmaßungen gewandt, die Arbeit ihrer Regierung könnte wegen der Schlappe für Wulff in den ersten beiden Wahlgängen schwieriger werden. Sie versicherte: „Das glaube ich nicht, denn zum Schluss haben wir ein sehr überzeugendes Resultat gehabt.“ Jetzt komme es „darauf an, dass die Regierung ihre Arbeit macht“.
Deutliche Kritik von Seehofer
Deutlich kritischer äußerte sich Seehofer. Der CSU-Chef sagte, Wulff sei zunächst von eigenen Wahlleuten in „beachtlicher Größenordnung“ die Stimme versagt worden. Nun dürften Union und FDP „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“. Das Verhalten der Bundesversammlung sei „ein Signal gegenüber der Koalition und ihrer Führung“ gewesen.
Seehofer forderte: „Inhaltlich müssen wir wesentlich stärker und besser werden.“ Die Bevölkerung könne „nur durch Tun“ überzeugt werden. Der CSU-Chef betonte: „Wenn ich das dann einfordere, dann bin ich gerne der Streithansel und der Querulant.“ Ab sofort müsse die schwarz-gelbe Koalition die „gewaltigen Themenfelder“ wie die Gesundheitsversorgung und die Haushaltssanierung angehen.
Gröhe: Jetzt müsse man sich „unterhaken“
Gröhe mahnte in dem Schreiben an die CDU-Mitglieder, das der Nachrichtenagentur ddp vorliegt: „Es liegt an uns, ob wir uns am Riemen reißen und unsere Erfolge - zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik - offen nach außen tragen oder weiter den Gegner befördern.“ Es gelte jetzt für die Koalition, „durch Arbeit, Arbeit und Arbeit wieder mehr Vertrauen zu gewinnen“. Was man dagegen nicht brauche, seien „das Suchen nach „Abweichlern“ oder wechselseitige Schuldzuweisungen durch die drei Koalitionspartner“.
Gröhe räumte ein: „Dass CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung ihre Chance auf eine absolute Mehrheit schon im ersten oder zweiten Wahlgang nicht genutzt haben, ist ärgerlich.“ Die Gründe dafür seien „vermutlich eine Mischung aus persönlicher Sympathie für den sehr respektablen Kandidaten Joachim Gauck und Frustration über das Erscheinungsbild der christlich-liberalen Koalition“. Jetzt müsse man sich aber „unterhaken“.
„Verpasste Chance für Neustart der Koalition“
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) wertete die Zitter-Wahl von Wulff als verpasste Chance für „einen Neustart der Koalition“. Der saarländische Regierungschef Peter Müller (CDU) verlangte: „Die Koalitionsparteien in Berlin müssen sich intensiver abstimmen.“ Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer (CDU) bewertete das Verhalten der Abweichler als „eine Art Ausrufezeichen und die Aufforderung: Beschäftigt Euch mal mit Euren inneren Problemen“.
Der ehemalige FDP-Chef Wolfgang Gerhardt kritisierte, die Berliner Koalition sei „bis heute nicht in der Lage, ein Management von Themen und Strategien vorzunehmen und das auch rüberzubringen an die Bürger“. Der Vorsitzende der CSU-Zukunftskommission, Manfred Weber, sagte in einem ddp-Interview: „Viele Menschen in Deutschland sind enttäuscht, weil sie sich von der christlich-liberalen Koalition einen klaren Reformkurs gewünscht haben. Leider ist dieser noch nicht so deutlich geworden, wie das für das Land notwendig ist.“ (ddp)