Berlin. .

Die Aufarbeitung von Wulffs Wahl beflügelt Rot-Grün und treibt die Kanzlerpartei um. Die Partei beklagt taktische Fehler und einen Mangel an Umgangsstil. Die Wahl sei ein Denkzettel für die Kanzlerin, heißt es.

Für die „Trauerarbeit“ hatten SPD und Grüne Vorsorge geleistet. Die Fraktionen sollten sich treffen, ihre Führungen mit Joachim Gauck essen gehen. Kein Wahlmann sollte nach kurzer Bundesversammlung und Niederlage geschäftsmäßig und unsentimental nach Hause entlassen werden. Doch es kam anders. Die Wahl zog sich hin. Das Essen musste abgesagt werden, Gaucks Niederlage schmeckte nach Sieg, keiner brauchte Trost.

Vielmehr saßen die Abgeordneten aufgekratzt nebeneinander. Jeder Partei- und Fraktionschef ergriff das Wort, zum Schluss auch das doppelte Lottchen aus NRW: Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann. Der Grüne Jürgen Trittin sorgte bereits mit der Anrede für Lacher: „Liebe Genossinnen und Genossen.“ Sein Kollege Cem Özdemir lobte, das Zusammenspiel bei der Wahl sei „geeignet gewesen, Wolfgang Clement vergessen zu machen.“ Zum Schluss standen Löhrmann und Kraft auf und gelobten, Rot-Grün in NRW umzusetzen. Was für ein Tag!

„Wir haben schon viel zu viel Motivation für den Gegner geliefert“, hatte Roland Koch vor den Wahlmännern der Union gemahnt. Wie so oft bewies der Hesse das richtige Gespür für die Situation. Für Rote und Grüne wurde die Wahl zum Lehrstück über Teambildung. Sie hatten sich den idealen Bewerber ausgeguckt, FDP und Union vorgeführt und die Linken am Nasenring durch die Manege gezogen. Hohen Lustfaktor hatte ein Gespräch zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang.

Da lachte Lafontaine

Da trafen sich die führenden Köpfe der drei Parteien, und die Linken warfen SPD und Grünen den listigen Schachzug vor, just einen Bewerber ins Rennen zu schicken, der FDP und Union nahe steht. „Oskar“, erwiderte SPD-Chef Sigmar Gabriel, „die Idee hätte doch auch von Dir stammen können.“ Da lachte Oskar Lafontaine geschmeichelt.

Die Euphorie bei Rot-Grün steht im Kontrast zur Katerstimmung bei der CDU, deren Kandidat Wulff trotz eigener Mehrheit über drei Wahlgänge gehen musste. „Das ist kein gutes Ergebnis“ und eine „verpasste Chance“, so Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich. „Das muss besser werden, dieses Mannschaftsspiel“, mahnte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. „Das ist eher eine Art Ausrufezeichen und die Aufforderung: beschäftigt Euch mit Euren inneren Problemen“, sagte der Regierungschef von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer. Alle drei klingen nicht so, als könne sich CDU-Chefin Angela Merkel erlauben, zur Tagesordnung überzugehen.

Wullfs Kür als Chefsache

Zu viele haben nicht Wulff, sondern Gauck gewählt; exakt so lange keine Gefahr bestand, dass er tatsächlich Präsident wird. Als es ernst wurde und zum dritten Wahlgang kam, stellte sich die absolute Mehrheit plötzlich ein. Mithin hatten sich Wahlmänner taktisch verhalten. Sie hatten in den ersten zwei Wahlgängen ihren Unmut zu Protokoll gegeben. Allein, wem galt der Denkzettel? Der CDU-Chefin.

Der eine empfindet es als Mangel an Umgangsstil, der andere als schweren taktischen Fehler, dass sie das Angebot der SPD ausgeschlagen hatte, zu einem gemeinsamen Kandidaten zu kommen. Ihr Auftreten – wir haben ja eine Mehrheit – hat Grüne und Sozialdemokraten provoziert, listig vorzugehen und Joachim Gauck ins Rennen zu schicken.

Merkel hatte Wulffs Kür zur Chefsache gemacht; ein Übermut, der sich nun rächte. Bis November stehen weitere Personalien an. Dann muss sie drei neue Stellvertreter finden, weil neben Wulff auch Koch und Jürgen Rüttgers aus der CDU-Führung ausscheiden. War die Bundespräsidentenwahl etwa ein Warnschuss, ihre Partei künftig stärker einzubinden?