Die Kandidatur Joachim Gaucks birgt Charme - was aber, wenn er tatsächlich gewinnen würde? Dann hätten SPD und Grüne ein Problem mit ihrem liberal-konservativen Präsidenten.

in kleines, politisch vielleicht nicht ganz korrektes Gedankenspiel. Nehmen wir also das Unwahrscheinliche an, Joachim Gauck, der Kandidat von SPD und Grünen, würde heute zum Bundespräsidenten gewählt. Wie erginge es Sozialdemokraten und Grünen mit diesem Staatsoberhaupt?

Gauck ist sicher konservativ, noch sicherer: liberal. Er ist ganz gewiss nicht links. Er ist ein Antikommunist, weil ihn das die eigene Geschichte lehrte. Dank seiner Kandidatur ist einmal mehr deutlich geworden, wie sehr die Linkspartei sich sträubt, aus ihrem doktrinären Schatten zu treten. Aus seinem liberalen Freiheits-Verständnis heraus lehnt der Agenda-Freund Gauck jeden weiteren Ausbau des Sozialstaats ab, denn der stehe in der Gefahr, die Menschen zu entmündigen. Den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan findet er richtig und wichtig. Mit anderen Worten: So gut wie jede Rede, die der Bundespräsident Gauck hielte, müsste gelesen werden als Kritik an Sozialdemokraten und Grünen. Aus diesem Grund hat schließlich Deutschlands konservativste Partei, die CSU, sich vor Jahren für Gauck als Präsidentschaftskandidaten der Union ausgesprochen. Andersherum: Hätte ein rot-grüner Kandidat den Hauch einer Chance, wäre es nie dieser wunderbar beeindruckende Joachim Gauck geworden.

Gauck ist der Versuch, Schwarz-Gelb zu schaden

Dieser Kandidat hat sich souverän nicht in Partei-Händel verwickeln lassen, was nichts daran ändert, dass er eine Figur ist auf dem politischen Schachbrett. Wulff ist der Kandidat von Schwarz-Gelb, Gauck ist der Versuch von Rot-Grün, Schwarz-Gelb zu schaden oder zu stürzen. Die Bundesversammlung war noch stets parteipolitisch geprägt, ob nun von rechts oder von links. Da gibt es nichts zu beschönigen, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung es gerne anders sähe. Wäre die Direktwahl des Präsidenten ein Ausweg? Eher nicht. Vor einer solchen Wahl stünde ein Wahlkampf um die Gunst der Bürger – könnte der Präsident dann noch das Volk einen? Und wäre das Volk dann noch einverstanden, dass ein Präsident vor allem reden soll, aber nicht handeln darf?

Alles andere als ein Erfolg Christian Wulffs im ersten Wahlgang wäre eine herbe Niederlage für die Kanzlerin. Erste Aufgabe eines Präsidenten Wulff sollte es sein, das parteiverdrossene Volk und die Parteien wieder einander näher zu bringen, was schwer genug werden dürfte. Wulff kann darauf bauen, dass es bisher noch jeder Präsident zu großer Beliebtheit gebracht hat, auch der eher spröde Horst Köhler. Warum sollte dies Wulff nicht gelingen, einem Mann, den die Niedersachsen immerhin schon einmal als Ministerpräsidenten wiedergewählt haben?

__________________________________________________________________

Die Wahl muss frei sein - von Rüdiger Oppers

Eigentlich ist die Abstimmung über das höchste Amt im Staat kein Ereignis, dem die Massen entgegenfiebern. Heute sind die Erwartungen dennoch riesengroß. In der Bevölkerung ist die Hoffnung gewachsen, dass die Wahl einen Präsidenten hervorbringen könnte, der es vermag, Deutschland noch einmal das „Wir sind ein Volk“-Gefühl zu vermitteln. Einer, dem es gegeben ist, kraft seiner Persönlichkeit ein Zeichen gegen die allgemeine Lustlosigkeit an der Politik zu setzen. Einer wie Joachim Gauck.

Was wäre, wenn dieser wortgewaltige Bürgerrechtler heute zum Bürgerpräsidenten gewählt würde? Schöner Traum. Es wird wohl nicht so kommen. CDU und FDP haben einen stabilen Block in der Bundesversammlung gebildet, der nicht den besten, sondern den bequemsten Bundespräsidenten wählen soll. So wird die viel zitierte „Würde des Amtes“ wieder zum Opfer der Machtpolitik.

Der Autor: Rüdiger Oppers, Chefredakteur der NRZ
Der Autor: Rüdiger Oppers, Chefredakteur der NRZ

Neu ist das nicht. Aber erstmals gibt es eine echte Alternative. Schon die Kandidatur von Joachim Gauck ist ein Gewinn. Solche Begeisterung für einen Politiker gab es lange nicht mehr. Sie beweist, wie lebendig und attraktiv unsere Demokratie sein könnte. Die breite Zustimmung für Gauck ist auch eine Absage an „die da oben“ und deren ermüdende Spiele der Macht. Doch der nächste Bundespräsident wird, wenn es nicht ein Sommermärchen verhindert, dass die Kanzlerin ihren Willen durchsetzt, Christian Wulff heißen.

Kein schlechter Mann; aber einer ohne Eigenschaften. Ein verdienter Parteisoldat und perfektes Symbol eines Staates, der darauf pfeift, wie seine Bürger denken. Als Präsident von Merkels Gnaden wird er, wie Horst Köhler, nur eine Randfigur der Berliner Republik sein.

Nagelprobe der Demokratie

Angela Merkel war einmal angetreten, um die „Kanzlerin aller Deutschen“ zu werden. Sie ist von diesem Ziel weiter entfernt denn je. Dagegen ist Joachim Gauck schon jetzt Präsident der Herzen. Das spüren auch treue CDU-Protagonisten. Die klügsten Köpfe der Union - die Altpräsidenten von Weizsäcker und Herzog sowie Kurt Biedenkopf - fordern, die Abstimmung in der heutigen Bundesversammlung freizugeben. Dies würde nicht nur dem Gesetz entsprechen, sondern auch dem Willen der Bevölkerung, die ja angeblich in Berlin vom Wahlkonvent repräsentiert wird.

Tatsächlich erlebt unsere Demokratie heute eine Nagelprobe. Läuft alles nach dem Drehbuch der Kanzlerin, dann bleibt Politik nur ein Schauspiel und die Bundesversammlung eine große Bühne, auf der alle Jubeljahre das langweilige Stück „Bundespräsidentenwahl“ gegeben wird. Wenn die Delegierten aber Mut genug haben, alles taktische Kalkül beiseite zu lassen, dann könnten wir eine Sternstunde der Demokratie erleben.

Das Abstimmungsverhalten der „Linken“ ist dabei interessant. Ein absurde Vorstellung, dass Gysi & Co. ausgerechnet Wulff zum Bundespräsidenten küren. Joachim Gauck, der mutige Regimegegner und spätere Chefaufklärer des Stasi-Unrechts, kann kein Wunschkandidat der „Linken“ sein. Sie hat aber die Chance, mit seiner Wahl eindrucksvoll zu beweisen, dass sie als demokratische Partei in der modernen Bundesrepublik angekommen ist. Anderenfalls bleibt sie als „SED-Nachfolgepartei“ abgestempelt.

Weder Regierung noch Opposition sollten heute danach fragen, welcher Kandidat dem eigenen Machtspiel nutzt, sondern wer Deutschland am besten dient.

Es geht nicht darum, ob die Kanzlerin noch regieren kann, und Joachim Gauck ist auch keine Wunderwaffe gegen die verwundbare Koalition. Er ist der bessere Präsident.