Düsseldorf. .

Sechs Wochen lang kämpfte Jürgen Rüttgers für eine Große Koalition und damit um seinen Posten als Regierungschef. Jetzt laufen sich die Anwärter auf seine Nachfolge warm.

Die Dramaturgie des eigenen Scheiterns beschäftigt jeden Spitzenpolitiker. Es ist die Kehrseite zur Schau gestellter, berstender Siegeszuversicht. Noch-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) ahnte schon in den ­ersten Tagen nach der Wahlpleite vom 9. Mai, dass er den richtigen Moment zum Rückzug zu verpassen drohte. Man hörte ihn im kleinen Kreis über die evangelische Bischöfin Margot Käßmann staunen, die einen schweren Fehler begangen hatte, aus dem Amt geschieden war und dennoch beklatscht wurde. Kann so ein Abgang auch in der Politik gelingen?

Sechs Wochen lang kämpfte Rüttgers für eine Große Koalition und damit um seinen Posten als Regierungschef. Führungserwartungen seiner Partei vermengten sich von Tag zu Tag mehr mit eigenen politischen Überlebenshoffnungen. Am späten Donnerstagabend hat der 58-Jährige nun einen Schlussstrich gezogen und das Strategiespiel beendet: „Ich strebe keine Ämter mehr an“, versicherte er am Rande einer Sitzung des CDU-Landes­vorstands und der 54 Kreisvorsitzenden in Essen. Weil die mediale Politik-Deutung diesen schlichten Satz ungläubig nach Hintertürchen für ein Comeback abklopfte, beschied Rüttgers trotz drei Jahrzehnten Berufspolitik am Freitag noch einmal: „Das gilt.“

Die CDU soll die Oppositionsrolle annehmen

Im November wird Rüttgers seinen Vize-Posten in der ­Bundes-Partei abgeben, im Frühjahr 2011 den Landesvorsitz der einflussreichen nordrhein-westfälischen CDU. Sein Ziel für die verbleibenden Monate in der ersten Reihe hat er am Donnerstagabend umrissen: Die CDU solle die Oppositionsrolle annehmen. Mit Blick auf das künftige ­Personaltableau will er dafür sorgen, „dass nirgendwo Züge ungebremst aufeinander ­zurasen“. Egal, ob die Noch-Minister Armin Laschet und Karl-Josef Laumann um den Vorsitz der Landtagsfraktion rangeln oder Generalsekretär Andreas Krautscheid und Bundesumweltminister Norbert Röttgen um den Landesvorsitz streiten. Egal, ob Laumann als soziales Gewissen zum CDU-Bundesvize promoviert wird oder ein prominenter Konservativer wie Friedrich Merz zurückkehrt.

Am Ende soll man zusammenarbeiten, wie es seinerzeit Rüttgers mit Finanzminister Helmut Linssen und Wirtschaftsministerin Christa Thoben nach einem harten Dreikampf um den NRW-Parteivorsitz gehalten haben. Westfalen und Rheinländer, Wirtschaft und Soziales müssten in jedem Fall beisammen bleiben, so Rüttgers’ Mahnung.

Zur Selbstbeschäftigung und zum wehleidigen Lamento über Störfeuer aus Berlin bleibt nach Rüttgers’ Analyse kaum Zeit. Organisatorisch und inhaltlich müsse die Chance der womöglich kurzen Oppositionsphase genutzt werden. Selbstkritisch fragt er sich inzwischen, weshalb in den eigenen Reihen so viel Energie aufgebracht werden konnte, um seine Glaub­würdigkeit durch Indiskre­tionen (Sponsoring-Affäre etc.) zu torpedieren.

Rüttgers räumt inhaltlich Defizite ein

Auch inhaltlich räumt er Defizite ein: Zwar sei der jüngste Bildungs-Länder­vergleich „ein exzellentes Abschlusszeugnis der schwarz-gelben Regierungspolitik“, doch treibe ihn eine Frage um: „Müssen wir unsere Haltung in der Schulpolitik ändern?“

Die vielleicht größte Schwierigkeit, so Rüttgers, sei es, den „Markenkern“ einer NRW-CDU neu zu definieren. Die Partei erziele in den Regionen des Landes extrem unterschiedliche Wahlergebnisse. Die Erfolge der kurzen Regierungs-Episode von 2005 bis 2010 sollten weiterhin Leit­linie für künftiges Handeln sein, wünscht sich Rüttgers, der am heutigen Samstag 59 Jahre alt wird.

Der Regierungschef selbst wird in knapp drei Wochen ein überschaubares Abgeordneten-Büro im Landtag beziehen und seine zahlreichen ­Stiftungs-Engagements wieder stärker pflegen. „Meine Frau“, versichert er kokett, „muss ­keine Sorge haben, dass ich ihr auf den Wecker falle.“