Jerusalem. .

Auf der Hilfs-Flotille, die vor Gaza vom israelischen Militär angegriffen worden ist, befanden sich zehn Deutsche. Das Auswärtige Amt korrigierte die bisher gemeldete Zahl nach oben. Bei der Erstürmung sind wohl 19 Menschen ums Leben gekommen.

Die Bundesregierung hat Zweifel an der Verhältsnismäßigkeit des israelischen Einsatzes gegen die internationale Hilfsflotte für den Gazastreifen geäußert. Jede Bundesregierung unterstütze vorbehaltlos das Recht Israels auf Selbstverteidigung, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag in Berlin. „Es ist aber selbstverständlich, dass dieses Recht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgeübt werden muss. Der erste Anschein spricht nicht dafür, dass dieser Grundsatz eingehalten worden ist“, sagte Wilhelm. „Aber man soll nicht nach dem ersten Anschein urteilen“, betonte Wilhelm weiter.

Beim Sturm auf die Hilfs-Flottille für den Gazastreifen sind nach Informationen des israelischen Fernsehens 19 Menschen getötet worden. Zudem seien 26 pro-palästinensische Aktivisten verletzt worden, berichtete der private Fernsehsender Channel 10 am Montag.

Die israelische Armee hatte zuvor von mindestens zehn Toten gesprochen und keine Angaben zu möglichen Verletzten gemacht. Die Erstürmung des Schiffskonvois sei in internationalen Gewässern erfolgt. Ein Einsatzkommando sei zwischen 04.30 Uhr und 05.00 Uhr (03.30 Uhr und 04.00 MESZ) am frühen Montagmorgen in einer Entfernung von 130 bis 150 Kilometern zur israelischen Küste eingeschritten, sagte General Awi Benajahu.

Merkel will schnelle Aufklärung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fordert eine schnellstmögliche Aufklärung des Angriffs der israelischen Armee auf einen Schiffskonvoi der Organisation „Free Gaza“. Es stelle sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, deshalb sei eine schnelle Aufklärung vonnöten. Es könne hilfreich sein, wenn internationale Beobachter daran teilnähmen.

Sie habe bereits mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan telefoniert, sagte Merkel. Jetzt sei es wichtig, in dieser schwierigen Lage eine Eskalation zu verhindern.

Zugleich sprach sich die Kanzlerin erneut für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts aus. Hamas müsse das Existenzrecht Israels anerkennen, EU und UN hätten jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass eine Blockade des Gazastreifens nicht hinnehmbar sei.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat sich besorgt über den israelischen Einsatz gegen die internationale Hilfsflotte geäußert. „Ich bedauere zutiefst, dass es dabei Tote und Verletzte gegeben hat“, sagte Westerwelle am Montag in Berlin. Er habe Kenntis „von sechs Personen aus Deutschland“, die sich an Bord eines der Schiffe der Hilfsflotte befunden hätten. „Wir bemühen uns derzeit intensiv darum, ihren aktuellen Verbleib aufzuklären“, sagte Westerwelle.

Drei Politiker der Linkspartei dabei

Auf einem Schiff mit Hilfsgütern für den Gazastreifen sind auch drei Politiker der Linken an Bord gegangen. Es handelt sich um die beiden Abgeordneten Annette Groth und Inge Höger sowie den früheren Parlamentarier Norman Paech, wie Fraktionschef Gregor Gysi am Montag in Berlin mitteilte. Über ihren Verbleib wurde zunächst nichts bekannt. Sie seien aber auf jeden Fall noch in der Nacht auf dem Schiff gewesen.

Die Linke protestierte gegen das Vorgehen Israels. „Ohne im Einzelnen beurteilen zu können, was bei der Besetzung geschah, ist es niemals und durch nichts zu rechtfertigen und deshalb verbrecherisch, dass einseitig das Feuer eröffnet wird und friedliche Menschen getötet oder verletzt werden“, erklärte Gysi. Die führenden Repräsentanten der Bundesrepublik müssten sich unverzüglich für ein Ende der Gewalt gegenüber den Besatzungen der Schiffe einsetzen.

Der israelische Privatsender „10“ berichtete, ein israelisches Einsatzkommando habe das Feuer eröffnet, nachdem einige Aktivisten der Flottille sie mit Äxten und Messern angegriffen hätten. Laut dem Bericht eines Korrespondenten des arabischen Nachrichtensenders El Dschasira sollen „hunderte israelische Soldaten“ im Einsatz gewesen sein. Die sechs Schiffe des Konvois mit hunderten Aktivisten an Bord hatten am Sonntag die zyprischen Hoheitsgewässer verlassen und sich auf den Weg zum Gazastreifen gemacht. Israel hatte wiederholt damit gedroht, die kleine Flotte notfalls mit Gewalt zu stoppen.

Israel: „Es gab eine enorme Provokation“

Israels Industrie- und Handelsminister Benjamin Ben Elieser drückte sein „Bedauern über die Toten“ aus. Die Fernsehbilder von der Erstürmung seien „nicht schön“, sagte Elieser dem israelischen Militärrundfunk. Die Armee habe nicht die Absicht gehabt, das Feuer zu eröffnen, „aber es gab eine enorme Provokation“, fügte Elieser hinzu. Bei der Erstürmung wurden nach Armeeangaben mindestens vier israelische Soldaten verletzt, einer davon durch eine Kugel.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bezeichnete den Einsatz der israelischen Armee als „Massaker“ und verhängte ein dreitägige Staatstrauer in den Palästinensergebieten.

„Wir verurteilen diese unmenschlichen Praktiken Israels scharf“, erklärte das türkische Außenministerium in Ankara. Der israelische Militäreinsatz gegen die Flottille mit hunderten pro-palästinensischen Aktivisten stelle einen „klaren“ Bruch gegen internationales Recht dar und könne zu „irreparablen“ Konsequenzen in den bilateralen Beziehungen führen. Die türkische Regierung bestellte den israelischen Botschafter ein. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan brach laut Fernsehberichten seine Südamerika-Reise ab.

Israels Konsulat in Istanbul mit Steinen beworfen

In Istanbul versammelten sich spontan hunderte Menschen zu Protesten gegen Israel. Die Menge bewarf das israelische Konsulatsgebäude mit Steinen. Die Polizei drängte die Demonstranten mit Wasserwerfern und Reizgas ab.

Die radikalislamische Hamas, die im Gazastreifen die Macht hat, rief zu einer „Intifada“ vor den Botschaften Israels in der ganzen Welt auf. Araber und Muslime weltweit sollten sich erheben, erklärte die Bewegung. Die israelische Polizei erhöhte ihre Alarmbereitschaft aus Angst vor Ausschreitungen im Land. Dies gelte unter anderem für Jerusalem oder Jaffa bei Tel Aviv, erklärte die Polizei.

An Bord der Schiffe befinden sich etwa 10.000 Tonnen Hilfsgüter. Seit der Machtübernahme der Hamas im Sommer 2007 im Gazastreifen hält Israel eine strikte Blockade des Gebietes aufrecht.

Krimiautor Mankell begleitet Flotte

Auch der schwedische Krimi-Autor Henning Mankell befindet sich offenbar an Bord eines der angegriffenen Schiffe. Der 62-Jährige sei nach langen Verhandlungen mit den zyprischen und türkischen Behörden an Bord „eines kleinen Schiffes“ gelangt, erklärte die schwedische Sektion der Organisation Ship to Gaza am Montag. Um auf das Schiff zu kommen, habe Mankell sich 48 Stunden lang ein „Katz-und-Maus“-Spiel mit der zyprischen Polizei geliefert, hieß es weiter. Seinen Einsatz habe er damit begründet, dass sein Engagement für die Sache der Palästinenser nun mit konkreten Taten untermauert werden solle.

Über den Verbleib Mankells oder und der zehn übrigen schwedischen Teilnehmer an der Hilfsaktion - darunter offenbar auch ein Abgeordneter - gab es zunächst keine Angaben. (apn/afp)