Essen. .

Für Kinder und Jugendliche wird es in Deutschland immer schwerer, ihre Interessen gegegenüber der wachsenden Zahl von älteren Menschen durchzusetzen. Dies ist die Erfahrung von Eltern, Kinderschutzexperten, Erzieherinnen und Wissenschaftlern

Sonntags, wenn die Sonne scheint, geht es auf der ehemaligen Bahntrasse in Essen zu wie im Freizeitpark. Jogger, Radler, Spaziergänger wuseln recht friedlich aneinander vobei – bis dieser Tross naht: Sechs Kinder zwischen vier und elf Jahren und zwei Elternpaare wagen es, mitzutun in der Freizeitgesellschaft. Obwohl das jüngste Kind lieber links statt rechts fährt. Ein rüstiger Rentner auf dem Rennrad muss eine Vollbremsung machen. Er schlägt sich mit der flachen Hand mehrmals auf die Stirn, blickt die Erwachsenen an, schreit: „Hey, geht’s noch?”

Darf man das überhaupt: Mit einem Vorschulkind auf einem Freizeitweg radfahren? Obwohl es hinfällt, schreit, aufsteht, wieder hinfällt und schreit? Obwohl es andere, Fremde, zwingt, sich seiner Unfertigkeit anzupassen?

„Der Konsens, Kinder müssen so sein, den gibt es nicht mehr“, sagt Peter Wenzel, Geschäftsführer des Kita-Zweckverbandes im Bistum Essen. „In unserer Gesellschaft leben zunehmend Menschen, die Kinder nur aus dem Fernsehen kennen – und den kann man leiser drehen.“

„Die Leute wissen nicht, wie sich Kinder verhalten“

Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut sieht das ähnlich: „Das Problem ist die Entfremdung der Alten von den Jungen“, sagt Alt. Er glaubt, dass dahinter ein ökonomisches Problem steht: „Familien können finanziell selten mithalten. Die einen finden wir eher in den Billig-Quartieren, die anderen in den Villengegenden. Wenn aber einer im Alltag kaum Kontakt zu Kindern hat, dann gewöhnt er sich schnell daran und will diesen Zustand auch im Urlaub oder in öffentlichen Verkehrsmitteln haben.“ Alt wünscht sich von Politikern und Städtplanern Initiativen für Wohnhäuser und -viertel, in denen sich Generationen treffen und miteinander leben

Auch Martina Furlan vom Kinderschutzbund in Dortmund kennt die Entfremdung zwischen Kleinen und Großen. „Die Leute wissen nicht mehr richtig, wie sich Kinder verhalten. Viele Erwachsene haben den Eindruck: Wir waren als Kinder nicht so laut und ungezogen wie die Kinder heute. Aber das ist natürlich Quatsch. Der Abstand ist einfach zu groß, um das richtig einschätzen zu können.“ Selbst in den Familien herrsche heute Unverständnis füreinander: „Oft fehlen Schwester, Tante oder Oma in der Nähe, die jungen Eltern Tipps geben können. Die Mütter und Väter kommen dann in unser Büro und haben gar keine Idee, wie sie reagieren müssen, wenn das Kind schreit oder nicht schläft. Manche sind ratlos und verwirrt.“

Zwei Kinder im Zwillingsbuggy, eins an der Hand, zwei laufen vor: Wenn Elisabeth Rahmani durch den bevölkerungsreichen Essener Stadtteil Huttrop läuft, hat sie immer einen Tross von Kindern im Schlepptau. Als Tagesmutter geht sie mit ihnen in den Supermarkt oder auf den Spielplatz. Gespielt wird jeden Tag im heimischen Wohnzimmer. Gerne würde sie für ihre Tageskinder eine Zwei-Zimmer-Wohnung mieten. „Seit fünf Monaten bekomme ich nur Absagen”, sagt sie. Am meisten regt sie sich über die Wohnungsbaugesellschaften auf, die sie mit Scheinargumenten abwimmeln, etwa, dass sie ein Gewerbe betreibe und die Wohnungen dafür nicht geeignet seien. Oder dass die ausgesuchte Wohnung vor dem Haus keine Grünfläche habe. Dass eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu klein sei. Dass die Kinder zu viel Wasser verbrauchten. Dass Brandschutzbestimmungen einzuhalten seien.

Es sind diese Argumente, mit denen sich die Deutsche Annington und die THS auch gegenüber der WAZ rechtfertigen, warum sie bei der Vermietung an Tagesmütter Bedenken haben. THS-Sprecher Ralf Radschun gibt aber letztlich zu: „Wir haben Mieterschaften, wo das nicht passt“. Seine Kollegin von der Deutschen Annington, Katja Weisker, ergänzt: „Wir haben in unseren Häusern auch viele Eigentumswohnungen. Würden wir an eine Tagesmutter vermieten, müssten die Eigentümer zustimmen. Das ist aber nicht zu erwarten.“ Immerhin reden sie inzwischen von „Kompromissen“ (THS), oder einer „Umwidmung von Wohnraum“ (Annington). Schließlich wollen sie vor allem eins nicht: Als „kinderfeindlich“ dastehen.

Urlaub garantiert kinderfrei

Urlaub ohne Kinder – das ist offenbar ein Herzenswunsch vieler (älterer) Bürger. Sie wollen sich die schönsten Wochen des Jahres nicht von lärmenden und zappelnden Wesen verderben lassen.

Internet-Seiten wie www.urlaub-ohne-kinder.info greifen dieses Bedürfnis auf. Im Bayerischen Wald wirbt ein Vier-Sterne-Hotel damit, „das einzige kleinkinderfreie Hotel“ am Ort zu sein. Die Eigentümer stellen sich in einem Internet-Blog vor: „Wissen Sie eigentlich, wer diese Philosophie am besten aufnimmt? Es sind Eltern, die einmal ohne eigene Kinder die Batterie aufladen wollen bzw. müssen und dankbar sind, dass sie keine anderen Kinder ertragen müssen. Einfach mal nur an sich selbst denken und es sich gut gehen lassen. Jedem Skeptiker sei geraten, einmal Urlaub ohne eigene Kinder in einem kinderfreien Hotel zu machen.“

Hotelketten wie „Iberostar“ lassen in einigen Häusern keine kleinen Leute übernachten. was manche Gäste geradezu begeistert: „Prima geeignet zum Entspannen, da keine Kinder erlaubt sind“, heißt es in einer Bewertung. Aus einem Online-Blog stammt auch dieser Kommentar: „Habe erstmals einen Urlaub in einem Hotel für Erwachsene verbracht. Ich habe noch nie eine solche Erholung erleben dürfen! Selbst in der Nebensaison haben wir schon in kleinsten Hotels erleben müssen, dass bereits ein Kind reichen kann, um einem den Aufenthalt zu verderben.“