Brüssel. .
Was die Bildung von Koalitionen und Regierungen anbelangt, sind die Belgier Kummer gewohnt. Nach den letzten Parlamentswahlen vor drei Jahren dauerte es geschlagene 192 Tage, bis der flämische Christdemokrat Yves Leterme als Premier vereidigt werden konnte. Der trat dann allerdings in der Folge insgesamt dreimal zurück, weswegen am vergangenen Wochenende vorgezogene Neuwahlen nötig wurden – und deren Ergebnis macht die Bildung eines tragfähigen Bündnisses schwieriger denn je.
Denn die beiden Wahlsieger im flämischen Norden und im wallonischen Süden des Landes verdanken ihren Erfolg Kernbotschaften, die miteinander unvereinbar und nur sehr schwer zum Kompromiss zu führen sind.
Im Norden siegte „der neue flämische Löwe” (die Tageszeitung De Morgen) Bart De Wever. Der hat seiner Gefolgschaft versprochen, sie aus der ungeliebten staatlichen Ge-meinschaft mit den Wallonen herauszuführen, nicht sofort, aber doch auf längere Sicht.
Im Süden, wo man in Belgien Französisch spricht, gewann hingegen der Sozialist Elio Di Rupo. Dessen Klientel hat ihre Stimme bei der Linken abgeliefert, um genau das zu verhindern, was De Wever und seine Gesinnungsfreunde im Schilde führen.
Wenn die beiden, die in völlig unterschiedliche Richtungen wollen, sich zusammentun, könnte unter Beteiligung kleinerer Parteien eine Koalition zusammenkommen, die auch für die fällige nächste Stufe der Verfassungsreform die nötige Mehrheit hat. Nur müsste einer von beiden, de Wever oder di Rupo, von seinen Versprechungen abrücken. De Wever erklärte, er sei bereit, auch einem Wallonen den Job an der Regierungsspitze zu überlassen – „aber nur im Zusammenhang mit den fälligen großen Reformen”.
Die NVA wird vermutlich 27 der insgesamt 150 Parlamentssitze (88 davon reserviert für die Flamen) bekommen und ist damit stärkste Fraktion in der Kammer. Die PS von Elio Di Rupo dürfte im amtlichen Endergbnis, das am Montag noch nicht vorlag, ein Mandat weniger haben.
Flamen in der Mehrheit
De Wever hat überdies eine enorm starke Stellung, weil er 750 000 so genannte Vorzugsstimmen einheimste, mit denen der belgische Wähler seine persönliche Präferenz für einen Politiker ausdrücken kann. Die radikalen flämischen Separatisten des Vlaams Belang gehörten zu den Verlierern und fielen von 16 auf zwölf Mandate zurück.
König Albert II. muss nun entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung (oder in einer ersten Phase mit vorbereitenden Konsultationen) beauftragt. Am Montag nahm er zunächst den Rücktritt Letermes entgegen, dessen Christdemokraten von 26 Parlamentsmandaten auf 17 abstürzten und damit nur noch viertstärkste Kraft im Abgeordnetenhaus sind. Anschließend wollte der Monarch auch den 39-jährigen Historiker De Wever empfangen.
Flandern stellt 60 Prozent der 10,5 Millionen Belgier und steht wirtschaftlich deutlich besser da als die Wallonie und Brüssel, wo zwischen 17 und 21 Prozent der Menschen keine Arbeit haben. In Flandern liegt die Arbeitslosigkeit bei sieben Prozent.