Viele Jahre hat die Atomwirtschaft auf die politische Kehrtwende gehofft. Nun sieht sie die Stunde der Wahrheit gekommen. Wie also soll er aussehen, der Zuschlag für die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke? Was sind die Regeln, was ist der Preis dafür, dass die Reaktoren länger Strom (und Gewinne) produzieren dürfen? Die Atomdebatte spaltet das Land. Und sie wird für die Regierungskoalition zum Prüfstein. Denn noch fehlt es, das Konzept für die Ewigkeit.
Das Stelldichein von Politik und Branchenvertretern im Kanzleramt war kein Routinetreffen. Die Strommanager kamen nicht als Bittsteller, sondern mit einer klaren Botschaft: Es pressiert. Weil das Atomgesetz noch nicht geändert ist und somit die Regeln des Ausstiegsbeschlusses gelten, stehen mit Neckarwestheim 1 sowie Biblis A und B drei ältere Atomkraftwerke unmittelbar vor der Stilllegung. Unverhohlen droht die Atomwirtschaft: Politisch, so Eon-Chef Wulf Bernotat, wäre es nicht verantwortbar, wenn die ersten Meiler abgeschaltet würden, ehe die Frage der Restzeiten beantwortet sei. Mit Recht fordert die Branche ein nationales Energiekonzept. Milliardeninvestitionen stehen an: in Windparks auf dem Meer, in Stromnetze, in die Erneuerung fossiler Kraftwerke. Der GAU, so schreibt die „Zeit“, ist der: Größte Anzunehmende Unklarheit.
Die Bundesregierung muss daher sagen, wohin die Reise geht: Ist Atomkraft eine Zukunftsenergie, wie es ihre Anhänger behaupten? Oder ist sie genau das Gegenteil: eine Verhinderungstechnologie, die Ökostrom verdrängt? Klar ist, dass Union und FDP die Laufzeiten verlängern werden. Um die Details aber streiten sie erbittert. Möglichst schnell will Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) eine Lösung. Sicherheit geht vor, entgegnet Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Seit Amtsantritt tritt er für grüne Positionen ein, will die Wirtschaft kohlenstofffrei machen. Röttgen soll inhaltlich die Partei erneuern, ihr neue Wählerschichten erschließen, die Macht sichern: Schwarz und Grün, das passe doch.
Im Mai geht es für Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in NRW um den Machterhalt. Bis dahin meiden Union und FDP eine Eskalation in der Atomdebatte, die nicht abkühlen will. Der Skandal um das absaufende Atommülllager Asse, das Sicherheitsrisiko älterer Kraftwerke – all das sorgt die Öffentlichkeit. Ein Vierteljahrhundert nach Brokdorf und Wackersdorf fürchtet die Bundesregierung eine Renaissance der Anti-Atomkraft-Bewegung. Befriedet werden kann dieser Konflikt nur, wenn man den Menschen sagt, wo diese Brücke in ein neues Energiezeitalter endet. Und wo der Atommüll bleibt. Auf ewig.