Warum gibt es so wenig Frauen in Führungspositionen? Warum erhalten Mitarbeiterinnen noch immer weniger Geld als ihre Kollegen? Fragen, die sich zum 50. Jahrestag des Gleichberechtigungsgesetzes auftun - und die uns die Wissenschaftlerin Annette von Alemann beantwortet.
„Es ist die Frau, die in der Wahrnehmung ihres Schöpfungsauftrags die Familie zusammenhalten kann.“ 50 Jahre alt oder aktuell?
Alemann: Das ist schwer zu sagen. Im Moment gibt es wieder solche Zitate, zum Beispiel von Eva Herman. Instinktiv hätte ich aber gesagt: Das ist 50 Jahre alt. Denn mittlerweile sind es natürlich beide Eltern, die die Familie zusammenhalten. Insgesamt hat sich aber in den Köpfen der meisten etwas verändert. Doch es gibt eben noch immer diejenigen, die sagen: Die ursprüngliche und eigentliche Aufgabe der Frau ist es, Kinder zu bekommen und die Familie zusammenzuhalten.
Sie lagen auf jeden Fall nah dran: Das Zitat ist von Eva Herman, aus dem berüchtigten Aufsatz in der Zeitschrift Cicero. Hat sich denn 50 Jahre, nachdem das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft trat, nichts geändert?
Alemann: Es hat sich juristisch ganz viel geändert. Wenn wir 50 Jahre zurück denken, hatte die Frau gerade ihre selbstständige Geschäftstätigkeit erlangt. Vorher war es ein Scheidungsgrund, wenn die Frau gegen den Willen ihres Mannes einen Beruf ausübte. Inzwischen haben wir die volle Gleichberechtigung im Berufsleben. Wir haben Frauen in der Bundeswehr, Frauen in Führungspositionen – wenn auch nur wenige –, Frauen in der Wissenschaft. Und auch sonst ist die Frau eben nicht mehr nur Mutter. Im Gegenteil: Es ist im öffentlichen Bewusstsein verankert, dass auch Väter Kinder erziehen, dass auch sie die Elternzeit nehmen können. Das wäre vor 50 Jahren nicht denkbar gewesen.
Vieles zum Thema „Gleichberechtigung“ bezieht sich also auf den Beruf. Angela Merkel ist die erste Bundeskanzlerin. Ein Meilenstein?
Alemann: Ich finde schon. Denn für das Thema ist es immer wichtig, dass es Vorbilder gibt, also Frauen in Führungspositionen, die ein positives Image haben. Sie können den jüngeren, aber auch den älteren Frauen zeigen: Frauen können das auch, und zwar genauso gut wie Männer. Wir schaffen das.
Allerdings schaffen es nur 0,2 Prozent der erwerbstätigen Frauen in die Chefetagen. Warum?
Alemann: Da gibt es eine ganze Menge von Erklärungen. Wir haben viele Interviews mit Topführungskräften in der Wirtschaft geführt. Dort herrscht die Meinung, dass es nur so wenige Frauen schaffen, weil Frauen anders sind: Sie sind biologisch anders, verhalten sich anders, wollen teilweise gar keine Karriere. Und sie sind benachteiligt, weil sie Kinder bekommen. Das sind die naturwüchsigen Argumente.
Auf der anderen Seite gibt es die Erklärungen aus der Wissenschaft, die ich sehr viel plausibler finde: Das eine ist die schlechte Situation bei der Kinderbetreuung. Dadurch werden Frauen daran gehindert, ins Mittelmanagement aufzusteigen. Gravierende Probleme sind auch Netzwerke, in die sie nicht hereinkommen, und männlich dominierte Arbeitsstrukturen und Arbeitskulturen.
Außerdem gibt es die statistische Diskriminierung: Wenn Chefs davon ausgehen, dass Frauen eh Kinder bekommen, dann bringt man sie eben nicht auf eine Führungsschiene – und fördert sie nicht weiter, wenn sie aus der Elternzeit zurück kommen.
Sie haben gerade gesagt, das Thema Kinderbetreuung spiele eine wichtige Rolle. Sie haben das persönlich ganz gut geregelt, oder?
Alemann: Ja, wir arbeiten beide freiberuflich und von zuhause aus. Mein Mann hat das aktive Berufsleben schon hinter sich und betreut nur noch Projekte. Unser Arrangement war immer: Er kümmert sich um unser Kind, und ich mache Karriere in der Wissenschaft. Ich kümmere mich darum, dass die Familie neben seiner Rente ein stabiles Einkommen hat.
Das Thema Gehalt ist ja auch ein schwieriges: Warum bekommen Frauen noch immer im Schnitt zwanzig Prozent weniger als Männer?
Alemann: Das ist eine gute Frage, es ist nämlich objektiv nicht zu erklären. Zum einen wird Männern mehr zugetraut, eben auch diese kontinuierliche Führungsschiene. Ihnen wird deshalb häufig auch gleich mehr Geld angeboten. Bei Frauen denken Chefs immer noch, sie gingen sowieso irgendwann in Elternzeit, so dass sich die Investition nicht so lohne. Zum andern vermute ich, dass Frauen und Männer über das Thema Gehalt auch anders verhandeln. Frauen sind häufig bescheidener als Männer und dankbar dafür, eine Stelle überhaupt zu bekommen. Männer fordern von Anfang an mehr ein.
Zur Person
Annette von Alemann (37) ist Soziologin (M.A.) und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld.Annette von Alemann verfasste mehrere Forschungsarbeiten zum Thema „Gleichstellung“. Als Promotionsstipendiatin arbeitet sie flexibel von zuhause. So haben sie und ihre Mann genug Zeit für ihren Sohn Martin, der fünf Wochen alt ist.
Was müsste denn getan werden, damit deutschen Frauen in Zukunft wirklich gleichberechtigt sind?
Alemann: Wir brauchen familienfreundliche Arbeitskulturen, so dass Kinder kein Hindernis mehr sind Karriere zu machen oder einfach nur kontinuierlich zu arbeiten. Wir brauchen viele Männer, die sich um ihre Kinder genauso kümmern wie die Frauen – und dass das auch anerkannt wird. Wir brauchen Führungskräfte, die Frauen zutrauen, ihren Job genauso gut zu machen wie Männer. Wir brauchen viele Vorbilder – Frauen in Führungspositionen, die andere Frauen fördern. Wir brauchen zum Beispiel mehr Frauen in den Aufsichtsräten der Unternehmen. Dann brauchen wir definitiv mehr und gute Kinderbetreuung. Und wir brauchen Männer und Frauen, die die gesetzliche Situation nutzen; und die, wenn sie sich diskriminiert fühlen, auch klagen. Denn so etwas schafft öffentliches Bewusstsein.
Wenn man sich Aussagen von Eva Herman ansieht, entsteht jedoch der Eindruck: Der Trend ist rückläufig...
Alemann: Ich glaube, dass es zu jeder Zeit und in jeder Situation Menschen gibt, die gegen Gleichberechtigung sind. Mit denen muss man diskutieren. Der Widerstand gegen die Argumente von Eva Herman zeigt ja gerade, dass es nicht nur dieses rückwärts gewandte Bewusstsein gibt. Diskussionen schaffen Aufmerksamkeit für das Thema und bringen so die Gleichberechtigungsbewegung weiter. Und – es gibt zwar einzelne Leute, die so denken. Aber die Mehrheit denkt inzwischen anders.
Sie sind Mutter, wissenschaftliche Mitarbeiterin – eben eine Frau. Würde ein Mann ihren Job besser machen?
Alemann: Nein. (lacht) Ich glaube, jeder macht seinen Job so gut er kann und wie er qualifiziert ist. Das hängt nicht davon ab, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Das Interview führte Vera Kämper.
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