Essen. Der Westen hat die Uhren, wir haben die Zeit. Dieses längst geflügelte Wort der aufständischen Taliban und die ausbleibenden militärischen wie politischen Erfolge beschreiben die wachsende Ungeduld der westlichen Truppensteller in Afghanistan.

Der Rauswurf des rüden Generals McChrystal hat offenbart, wie blank die Nerven in Washington liegen, wie brüchig die von Präsident Obama beschworene Einigkeit auf Regierungsebene in Wahrheit ist. Berechtigt erscheinen die wachsenden Zweifel am Gelingen des Strategiewechsels, am Erfolg der Truppenaufstockung um 30 000 Mann und am Zeitplan, im Juli 2011 mit dem Abzug der ersten US-Soldaten zu beginnen.

Die von den Generälen Petraeus und McChrystal entworfene Strategie, die Gotteskrieger von der Bevölkerung zu isolieren, gestaltet sich schwieriger als erhofft, weil das Vertrauen unter den Afghanen nicht in gleichem Maße wächst. Die Marschrichtung des gefeuerten US-Oberbefehlshabers, nicht der Feind, sondern der Schutz der Zivilbevölkerung habe absoluten Vorrang und werde so die Afghanisierung des Krieges befördern und die Präsenz der alliierten Soldaten überflüssig machen, steckt in der Sackgasse. Denn diese Strategie der militärischen Zurückhaltung gefährdet zunehmend das Leben der ISAF-Soldaten: Für sie ist der Juni mit über 300 Gefallenen bereits in diesem Jahr zugleich der verlustreichste Monat seit Beginn der westlichen Invasion im Jahre 2001 geworden.

Sicherheitslage hat sich dramatisch verschlechtert

Der neunjährige Feldzug am Hindukusch, der eigentlich ein kurzfristiger Anti-Terror-Einsatz und beileibe nicht in eine Counterinsurgency-Strategie münden sollte, dauert schon länger als der Zweite Weltkrieg. Und der Westen, der sich in der Aufstands-Bekämpfung wie in einem Labyrinth verirrt hat, droht diesen Krieg zu verlieren.

Die Sicherheitslage in Afghanistan, so der düstere Befund des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon in seinem jüngsten Bericht an den Sicherheitsrat, habe sich „drastisch verschlechtert“. So stiegen die Bombenanschläge in den ersten vier Monaten um 94 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, die Mordanschläge auf afghanische Behördenvertreter um 45 Prozent. Dies passt so gar nicht zu den „langsam stetigen Fortschritten“, die das Pentagon registriert haben will und auch nicht zu der Durchhalteparole des US-Verteidigungsministers Gates: „Wir gewinnen die Initiative zurück“.

Die alliierte Offensive in der Provinz Helmand stockt, die geplante Offensive in Kandahar, einem Zentrum der Taliban, ist aufgeschoben. Nicht nur der westlichen Öffentlichkeit, auch den Regierungen geht die strategische Geduld aus, mit der Obamas neuer Befehlshaber Petraeus diesen verfahrenen Krieg zu managen hofft. Bislang ist es noch keiner ausländischen Macht gelungen, Afghanistan, dessen innere Mechanik kein Fremder versteht, einer stabilen Entwicklung zuzuführen und berechenbar zu machen. Wie vor ihnen die Briten oder die Sowjets haben auch die USA und ihre Verbündeten diese Herkulesaufgabe auf fatale Weise unterschätzt.