Köln. Am 7. Juni wählen die Deutschen 99 Abgeordnete fürs Europaparlament. Doch im Superwahljahr scheint das Interesse besonders gering zu sein. Und auch die Kandidaten sind weitgehend unbekannt. Warum wir dennoch unbedingt zur Wahl gehen sollten, erklärt Politik-Professor Wolfgang Wessels aus Köln.

Kennen Sie Karl-Heinz Florenz (CDU) oder Evelyne Gebhardt (SPD)? Am 7. Juni stellen sich beide zur Wahl. Sie wollen als eine von 99 Abgeordneten für Deutschland ins Europaparlament einziehen. Und sie haben gute Aussichten, denn sie stehen ganz oben auf den Listen ihrer Parteien. Doch ihre Namen sind vielen Deutschen ebenso wenig bekannt wie ihre Gesichter. Vielleicht sind sie auch deshalb kaum auf den Wahlplakaten zu sehen. Dabei haben EU-Abgeordnete längst mehr Macht, als die meisten glauben. Warum wir unbedingt zur Europawahl gehen sollten, erklärt Wolfgang Wessels, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen an der Universität Köln.

Am 7. Juni wählen die Deutschen 99 Abgeordnete fürs Europaparlament. Bei der vergangenen Europawahl betrug die Wahlbeteiligung gerade einmal 43 Prozent. Mit wie viel Aufmerksamkeit rechnen Sie im Superwahljahr 2009?

Wolfgang Wessels: Ich sehe durchaus die Gefahr, dass die Europawahl ziemlich untergehen könnte im Superwahljahr. Die Wahlplakate hängen jetzt. Doch bisher hat man den Eindruck, dass kaum jemand weiß, dass am Ende der Pfingstwoche gewählt wird. Die Europawahl scheint weit weg zu sein. Und viele Bürger haben Probleme, damit etwas Konkretes zu verbinden. Grundsätzlich werden Europawahlen, ähnlich wie Landtags- oder Kommunalwahlen, stark von der Sicht der Wähler auf die nationale Regierungspolitik beeinflusst. Viele wollen ein Signal setzen, um ihre Partei in Berlin zu unterstützen oder eben zu kritisieren. Davon werden diesmal vor allem die kleineren Parteien profitieren, die in der Opposition sind. Deshalb gehe ich zudem davon aus, dass weniger Stammwähler von CDU und SPD zur Europawahl gehen werden.

Köpfe sind nur auf wenigen Wahlplakaten zu sehen. Allenfalls die FDP wirbt mit der attraktiven Silvana Koch-Mehrin. Warum kennen viele Menschen die EU-Parlamentarier nicht?

Wessels: Parlamentarier sind im Vergleich zu Regierungsmitgliedern generell wenig bekannt. Viele Menschen wissen auch nicht, wer für Köln im Bundestag sitzt. Die Popularität hängt zudem davon, ob sich der Abgeordnete lokal engagiert. Elmar Brok, einer der bekannteren Europaabgeordneten der CDU, ist auch Bezirksvorsitzender von Ostwestfalen-Lippe. Europaabgeordnete verbringen jedoch in der Regel zwei Wochen im Monat in Brüssel und eine Woche in Straßburg. Da bleibt wenig Zeit, um sich vor Ort zu zeigen. Hinzu kommt, dass ihre Wahlkreise viel größer sind als bei Bundestagsabgeordneten. Silvana Koch-Mehrin ist in gewissem Maße eine Ausnahme. Viele andere Abgeordnete arbeiten genauso fleißig, aber sie versteht es einfach besser, das Interesse der Medien zu wecken.

Welche Rolle spielen die EU-Abgeordneten innerhalb ihrer Parteien. Ist das Parlament immer noch ein Abstellgleis?

Wessels: Das Europarlament spielt innerhalb der Parteien immer noch eine eher nebengeordnete Rolle. Auch bei den Bundestags- und Landtagsabgeordneten machen viele keine Parteikarriere. Aber trotzdem sind sie meist gefragter. Viele Europaabgeordnete nehmen ihren Job dennoch sehr ernst und leisten gute Arbeit.

Ein Grund für das mangelnde Interesse an Europapolitik ist auch das schlechte Image. Woran liegt das?

Wessels: Das Image der Politiker ist generell nicht besonders gut. Bei Meinungsumfragen schneiden Europaabgeordnete nicht schlechter ab als nationale Politiker.

Undemokratisch und zu bürokratisch – das sind aber doch die Etiketten, die Europa häufig angeheftet werden.

Wessels: Diese Vorbehalte lassen sich ja auch ziemlich einfach diskutieren. Natürlich ist die EU mit bürokratischem Aufwand verbunden. Aber das unterscheidet sie nicht von der Stadt Köln, vom Land Nordrhein-Westfalen oder von Krankenversicherungen. Auch über das vermeintliche Demokratie-Defizit kann man debattieren. Die Mitbestimmungsmöglichkeit der Bürger über das Parlament und die Transparenz der EU werden aber meines Erachtens weit unterschätzt. Das soll nicht über die Schwächen hinwegtäuschen. Aber man muss aufpassen, dass man diese Schwächen nicht nur in Brüssel sieht. Auch die Bundesrepublik ist kein Paradies, was bürokratische Einfachheit und Transparenz der Entscheidungswege anbetrifft.

Warum ist es wichtig, dass wir zur Europawahl gehen?

Wessels: Das Europaparlament wird leider immer wieder unterschätzt. Das ist kein Forum, in dem ein bisschen diskutiert wird, sondern da werden ganz konkret Gesetze beschlossen, die viele Bürger unmittelbar betreffen, zum Beispiel zur Freizügigkeit von Dienstleistungen. Das EU-Parlament spielt vor allem bei wirtschaftspolitischen, aber auch umweltpolitischen Entscheidungen eine wichtige Rolle. In den vergangenen zwanzig Jahren ist das Parlament neben dem Ministerrat zur zentralen Kammer der EU-Gesetzgebung geworden.

Was müssten die Parteien tun, um den Bürgern die Bedeutung der Europawahl begreiflich zu machen?

Wessels: Die Parteien könnten ihren Europawahlkampf stärker personalisieren und das entsprechend plakatieren. So könnten sich die Sozialdemokraten oder die christlichen und konservativen Parteien festlegen, für welchen Kommissionspräsidenten sie sich aussprechen werden. Auch die Medien tragen eine gewisse Verantwortung. Die Berichterstattung hat sich schon verbessert. Aber Europa wird im Tagesgeschäft immer noch zu wenig wahrgenommen und wenn, dann zumeist in negativem Sinne.

Trägt nicht auch die nationale Politik einen Teil der Schuld? Wenn etwas schief läuft, wird häufig mit dem Finger auf die EU gezeigt. Wenn’s gut läuft, schmückt man sich dagegen gerne mit den fremden Federn aus Brüssel.

Wessels: Das sehe ich ebenso. Das ist eine klassische Strategie. Die Politiker in Berlin sollten dagegen viel häufiger deutlich machen, dass aus Brüssel auch viel Sinnvolles kommt. Da wird manchmal sehr leichtfertig kritisiert, um klassische Vorurteile abzurufen. Die nationale Politik sollte sich fairer verhalten.

Einer unserer User hat geschrieben, dass er zur Europawahl gehen würde, wenn er auch über den Lissabon-Vertrag abstimmen dürfte. Wäre das eine Möglichkeit, die Bürger zur Wahl zu bewegen?

Wessels: Sicher würde das mehr Aufmerksamkeit für die Europawahl wecken. Ich bin jedoch grundsätzlich gegen ein solches Referendum. Bei den Volksabstimmungen in Irland, aber auch in Frankreich und den Niederlanden haben viele andere Motive hereingespielt, die mit dem Lissabon-Vertrag nichts zu tun hatten. So war die Abstimmung in Frankreich eine Anti-Chirac-Wahl. Deshalb halte ich ein Referendum zum Lissabon-Vertrag nicht für sachgerecht.

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