Berlin. Wer hätte vor 20 Jahren, als der Kommunismus in Europa das Zeitliche segnete, prophezeit, dass bei einem Treffen der wichtigsten Staaten der Welt über die Zukunft des Kapitalismus die mächtigste Figur ein kommunistischer Funktionär sein würde?

Beim G 20-Gipfel Ende Juni in Toronto wird Chinas Präsident Hu Jintao mitten in der Finanzkrise auftrumpfen: Die Wirtschaft im Reich der Mitte wuchs um 11,2 Prozent, mit 2,5 Billionen Dollar an Devisenreserven ist China der Hauptträger globaler Ersparnisse und Rücklagen.

„Länder wie China überspringen gerade mehrere Entwicklungsstufen, für die Europa Jahrzehnte gebraucht hat“, sagt BASF-Chef Jürgen Hambrecht. Die Finanzkrise, die den Westen in eine Schuldenkrise stolpern lässt, hat China, hat Asien so selbstbewusst werden lassen, dass die Region – erstmals seit Jahrhunderten – die Vormachtstellung des Westens wieder in Frage stellt. Insbesondere China erweist sich – trotz schwerwiegender interner Probleme – als Hort der Stabilität. Den Planwirtschaftlern in Peking gelang es, Chinas Wirtschaft von der Exportfixierung auf eine stärkere Binnenkonjunktur zu lenken und die Immobilienspekulation zu dämpfen – ohne Verschuldung und Massenarbeitslosigkeit.

Demokratie einzig legitime Staatsform

Die Finanzkrise bremst das Tempo der Globalisierung. Vor allem aber führt sie zu einer Neuvermessung der Macht. In den letzten zwei Jahrzehnten waren die dynamischsten und reichsten Staaten kleine, offene Volkswirtschaften wie Chile, Singapur, Neuseeland und in Europa Irland, Österreich, die Schweiz und die früheren sowjetischen Satelliten in Osteuropa. Mit der Finanzkrise verlagert sich das Zentrum ökonomischer Anziehungskraft zu den Machtzentren von morgen, den sogenannten BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China.

Die Krisenregion ist die alte Welt, nicht die neue. Bislang haben Amerikaner und Europäer den Schwellenländern die Welt erklärt und die Demokratie als einzig legitime Staatsform angepriesen. Sie kamen als Investoren, forderten nach den Regeln des Westens zu spielen, die Menschenrechte einzuhalten und die Korruption auszumerzen. Diese Überheblichkeit ist endgültig vorbei, seit der Internationale Währungsfons (IWF) europäischen Staaten beispringen muss, westliche Konzerne der Bestechung überführt sind und Banken mit staatlichen Mitteln gerettet werden müssen.

Chinas ökonomischer Erfolg, sein kaum verbrämter Wille, nationale Interessen durchzusetzen, lassen in den alten Industrienationen die Angst vor dem Abstieg wachsen. Etlichen Schwellenländern gilt der Aufstieg des Reiches der Mitte als Vorbild. In der neuen, multipolaren Welt wird die die Demokratie vielerorts zum Auslaufmodell. In Autokratien wie der chinesischen können Entscheidungen schlagkräftiger sein. Demokratische Gesellschaften drohen in der ökonomisierten Weltordnung unattraktiv zu werden. Umso wichtiger ist es, die Demokratie zu verteidigen. Auch wenn dies derzeit ungemütlich ist.