Straßburg. .
Mit klarer Mehrheit haben die Parlamentarier die neue EU-Kommission gebilligt. Viele stimmten jedoch nur zu, nachdem Präsident José Manuel Barroso Zugeständnisse eingeräumt hatte. Günther Oettinger wird als deutscher Vertreter den Posten des Energie-Kommissars antreten.
Den ganzen Vormittag musste sich Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Europaparlament harsche Kritik anhören. Doch am Ende wich die Anspannung in seinem Gesicht einem erleichterten Lächeln. Trotz aller Bedenken billigte eine klare Mehrheit der Abgeordneten am Dienstag schließlich Barrosos zweites Team. Damit kann die neue Kommission nun offiziell ihre Arbeit aufnehmen - mehr als drei Monate nach Auslaufen des Mandats der Vorgängerkommission Ende Oktober.
Insgesamt hat die neue Kommission 27 Mitglieder, darunter neun Frauen. Noch am Abend sollte das Kollegium zu einem ersten informellen Treffen zusammenkommen, für Freitag kommender Woche war die erste offizielle Sitzung geplant. Die abschließende Zustimmung der Mitgliedstaaten gilt als Formsache. Außerdem müssen die Kommissare noch den Amtseid vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ablegen. Ihr Mandat läuft am 31. Oktober 2014 aus.
Linke und Grüne verweigern Zustimmung
Bis zuletzt hatte Barroso um eine möglichst breite Zustimmung geworben. Er werde sich für einen „Wandel“ einsetzen, für mehr wirtschaftliche und soziale Kohäsion, es werde eine neue Dynamik geben, versprach er. Allerdings brauche er dabei die Unterstützung des Europaparlaments und der Mitgliedstaaten. „Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, können wir unsere Interessen in der Welt vertreten“.
Der Portugiese konnte freilich nicht alle überzeugen. Zwar fiel die Mehrheit mit 488 Ja-Stimmen deutlich aus, doch immerhin 137 Abgeordnete verweigerten der neuen Kommission ihre Zustimmung, unter ihnen die Grünen und die Fraktion der Vereinigten Linken. 72 andere, vor allem rechte Euro-Skeptiker, enthielten sich der Stimme.
Keine Begeisterung übers Personal
Und viele der Abgeordneten, die mit Ja stimmten, taten dies ohne große Begeisterung. „Die Entscheidung war nicht leicht für uns“, sagte der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schulz (SPD). Er halte Barroso nach wie vor für ein schlechte Wahl. Eine große Mehrheit seiner Fraktion habe dem neuen Kollegium dennoch das Vertrauen ausgesprochen, weil die EU nicht in „Mehrheit und Opposition aufgeteilt“ werden könne.
Wie Schulz knüpfte auch der Chef der Fraktion der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Franzose Joseph Daul, die Zustimmung an Forderungen. Die EU müsse mehr als bisher ihre Stimme in der Welt zu Gehör bringen. Dies sei ihr etwa angesichts der Erdbebenkatastrophe in Haiti oder im Streit mit dem Iran bislang nicht gelungen. Der Fraktionschef der Liberalen, der Belgier Guy Verhofstadt, forderte die Kommission auf, „mutiger und ehrgeiziger“ zu sein als in den vergangenen fünf Jahren.
Gesetzentwürfe sollen stärker geprüft werden
Wenn das Parlament die neue Kommission trotz aller Kritik dennoch absegnete, dann nicht zuletzt, weil es Barroso vorab eine Reihe von Zugeständnissen abgerungen hat. In einer am gleichen Tag verabschiedeten Vereinbarung verpflichtet sich der Kommissionspräsident, künftig alle Gesetzentwürfe einer „sozialen Folgeabschätzung“ zu unterziehen. Damit sollen etwaige negative Auswirkungen etwa auf die soziale Absicherung von Arbeitnehmern verhindert werden. Noch ist aber nicht geklärt, wer diese Folgeabschätzung vornehmen soll. Das Parlament fordert, dass damit ein von der Kommission unabhängiges Gremium betraut wird.
Die EU-Volksvertretung soll zudem erstmals das Recht bekommen, EU-Gesetze anzustoßen. Nach langen und zähen Verhandlungen sagte Barroso zu, auf Anforderung des Parlaments binnen zwölf Monaten einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn die Kommission dies nicht tun will, muss sie es innerhalb von drei Monaten ausführlich begründen. Außerdem muss der Kommissionspräsident das Parlament künftig vorab über geplante Gesetzesinitiativen und seine jährlichen Arbeitsprogramme informieren.
Barrosos Zitterpartie zu Ende
Für Barroso ging mit dem Votum eine wochenlange Zitterpartie zu Ende. Noch Mitte Januar drohte das Parlament unverhohlen, dem neuen Team seine Zustimmung zu verweigern. Grund war die wenig überzeugende Darstellung einiger der designierten Kommissare bei den Anhörungen im Parlament. Erst der Verzicht der besonders heftig kritisierten bulgarischen Kommissionskandidatin Rumjana Jelewa ebnete den Weg für eine Mehrheit.
Spätestens seit dem erzwungenen Verzicht Jelewas und den Verhandlungen um die neue Zusammenarbeit dürfte dem Kommissionspräsidenten klar sein, dass er es in seiner zweiten Amtszeit mit einem durch den EU-Reformvertrag gestärkten und damit auch selbstbewussteren Europaparlament zu tun bekommt. Und die EU-Volksvertreter haben bereits angekündigt, dass sie Barroso und seinen 26 Kommissaren genau auf die Finger sehen wollen. (afp)