Düsseldorf. Eigentlich sieht NRW bei Geldautomaten-Sprengungen eine Trendwende, weil Banken aufgerüstet haben und die Polizei genauer hinschaut.
Seit mehr als zehn Jahren machen Automatensprenger, die meist aus den Niederlanden anreisen, in NRW fette Beute. Lange schien es, als seien die Verbrecher der Polizei immer einen Schritt voraus. Im Frühjahr 2024 wähnten sich die Ermittler erstmals wieder auf Augenhöhe.
Wie ist die Lage?
Die Polizei hat es mit Profis zu tun, die Automatensprenger inzwischen aber auch. Die vor knapp zwei Jahren in NRW gegründete Sonderkommission zur Bekämpfung und Ermittlung von Sprengungen (SoKo Begas) hat nach Einschätzung von NRW-Innenminister Herbert Reul schon viel erreicht, und inzwischen arbeiteten in NRW Spezialisten in vielen Polizeibehörden erfolgreich im Kampf gegen dieses Delikt. Der Weg hin zu null Automatensprengungen sei zwar noch weit, „aber er ist kürzer geworden“, sagte Reul am Freitag.
In den ersten zwei Monaten des Jahres 2024 zählten die Sicherheitsbehörden „nur“ sieben Automatensprengungen in NRW, im Vorjahreszeitraum waren es fünfmal mehr. Seit dem Jahr 2015 gab es in NRW insgesamt 1179 Automatensprengungen. In 354 Fällen seien Tatverdächtige ermittelt worden, die Aufklärungsquote liege also bei rund 30 Prozent. In knapp zwei Jahren sei es zudem gelungen, 47 Verdächtige in NRW festzunehmen. In den Niederlanden seien dank guter Zusammenarbeit weitere 127 Verdächtige festgenommen worden.
Warum wird weniger gesprengt?
„Begas“-Leiterin Christa Lübbers glaubt, dass sich die Kosten-Nutzen-Analyse aus Sicht der Täter negativ entwickelt. Salopp gesagt: Automatensprengung lohnt sich nicht mehr so wie früher. „Im ersten Quartal 2023 führten noch zwei von drei Angriffen auf Geldautomaten zum Erfolg, heute ist es umgekehrt. Die Täter kommen nur in jedem dritten Fall zu Bargeld“, erklärt Lübbers. Der Rückgang der Taten könnte auch damit zu tun haben, dass es weniger Geldautomaten gibt in NRW. Ihre Zahl sank in den vergangenen zwei Jahren um 1000 auf rund 10.000.
Wie hat die Polizei gegen Automatensprenger aufgerüstet?
Zum Beispiel schickt sie Kriminaltechniker an die Tatorte, die dort ähnlich akribisch vorgehen wie Ermittler nach Tötungsdelikten. So wurden inzwischen mehr als 100 DNA-Spuren gespeichert. Spezialisten der Polizei in den Großstadtbehörden Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Münster und Bielefeld haben Expertise im Kampf gegen Automatensprenger, so das Innenministerium. Sie arbeiteten zudem eng mit ihren Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden und in anderen Bundesländern zusammen. Mindestens genauso wichtig: Die Appelle der Sicherheitsbehörden an Banken und Sparkassen, ihre Automaten gegen Angriffe zu wappnen, scheinen erhört zu werden.
Wie werden die Automaten heute geschützt?
Inzwischen verfügen laut der Landesregierung drei von vier Geldautomaten der Sparkassen über Geld-Einfärbe-Systeme. Wenn der Sprengsatz explodiert, werden die Scheine mit einer Original-Geldscheinfarbe gefärbt. Wer sie entferne, müsse auch die „echte“ Farbe der Scheine entfärben, erklärt Christa Lübbers. Dieses Geld sei praktisch wertlos, versichert Innenminister Reul. „Es gibt keinen Schwarzmarkt für gefärbte Geldscheine“, behauptet er.
Die Automatensprenger müssen heute nicht nur damit rechnen, dass die Scheine, sondern auch sie selbst eingefärbt werden. „Begrüßungstinte“ sagen Polizisten dazu. Es seien schon eingefärbte Täter an der Grenze festgenommen worden, erzählt Reul. „Da war klar: Die kamen nicht vom Malkurs.“
Manche Banken sichern ihre Automaten zudem mit Vernebelungsanlagen, die die Täter orientierungslos machen sollen. Nachts werden manche Automaten zusätzlich mit Rollgittern und anderen Schutzhüllen gesichert.
Das früher von Banken angeführte Argument, Einfärbe-Systeme seien zu teuer, gelte heute so nicht mehr, sagt Herbert Reul. Inzwischen gebe es gute und günstigere Systeme, zum Beispiel aus Südafrika. Um Banken zu überzeugen, hat die Polizei die Qualität dieser günstigen Einfärbe-Systeme mit eigenen Sprengtests überprüft, natürlich nur an entwerteten Geldscheinen.
Wie gehen die Täter vor?
Vor allem schnell. Das Innenministerium zeigte am Freitag ein Original-Video von einer Automatensprengung. Zwischen dem Aufbrechen der Bank-Türen und des Automaten bis zur Explosion dauerte es in diesem Fall nur 46 Sekunden. Die Ausführung der Taten nehme meist nur insgesamt drei bis vier Minuten in Anspruch, erklärt die SoKo „Begas“.
Manche Täter benutzten Störsender (Jammer), damit die Polizei sie nicht orten könne. Es kommt vor auch, dass die Verbrecher gleich zwei Sprengsätze zünden. Einen, um die Hülle des Automaten zu zerstören, und einen, der die Geldkassetten freilegt. Die Sprengsätze selbst gehen erst hoch, wenn sie per Kabel mit einer Stromquelle verbunden werden. Das reduziert das Verletzungsrisiko für die Täter.
Es gibt den Ermittlern zufolge in den Niederlanden und in NRW Vermieter, die den Kriminellen schnelle Fluchtwagen leihen. Diese Beihilfe zur Automatensprengung ist Teil des Geschäftsmodells.
Was weiß man über die Täter?
80 Prozent kommen aus den Niederlanden. „Meist sind es junge Männer bis 25 Jahren, die aus Ballungsgebieten kommen, in Subkulturen aufwachsen und meinen, anders keine Chance zu haben im Leben. Sie lassen sich leicht von denen anwerben, die hinter dem großen Geschäft stehen“, erklärt Christa Lübbers. Geradezu „industriell“ sei diese Branche. Sprengstoff und Autos würden organisiert, Personal beschäftigt, schließlich werde das Geld aus den Automaten in legal betriebenen Firmen „gewaschen“.
Haben die Niederlande auch ein Problem mit Automatensprengungen?
Längst nicht so wie NRW. „Dort gibt es eine andere Bezahlkultur als bei uns, Bargeld spielt da keine so große Rolle mehr wie hier. Wenn in Deutschland Geldautomaten abgebaut werden, gibt es immer Stress“, sagt Herbert Reul.