Düsseldorf. NRW darf Polizeichefs nicht mehr als politische Beamte einstufen, die man jederzeit feuern kann. Das hat Folgen für Bürger und Behörden
Als Christine Frücht am Mittwochmorgen feierlich von Innenminister Herbert Reul (CDU) als neue Polizeipräsidentin für Bochum, Herne und Witten ins Amt eingeführt wurde, war von der hektischen Prüfungsarbeit der vorangegangenen Tage nichts spüren. Zweimal musste sich das Kabinett über den Besetzungsvorschlag beugen, mehrere Verwaltungsjuristen in der Düsseldorfer Staatskanzlei und im Innenministerium diskutierten das Für und Wider der Berufung. Erst spät gab es grünes Licht.
Um Frücht persönlich ging es dabei gar nicht. Die 56-jährige Polizistin und Diplom-Ökonomin gehört zu Reuls Top-Kräften, die schon zahlreiche Führungsaufgaben gemeistert haben. Allerdings ist Frücht die erste Polizeipräsidentin, die nach einem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts ihren Dienst aufnimmt.
Karlsruhe hatte Mitte Mai einen Passus des Landesbeamtengesetzes für nichtig erklärt. Die Einstufung von Polizeipräsidenten in Nordrhein-Westfalen als „politische Beamte“ sei verfassungswidrig, hieß es im Urteil. Die Besonderheit von politischen Beamten liegt darin, dass sie jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden können. Dafür muss kein persönliches Fehlverhalten oder Dienstvergehen nachgewiesen werden.
Kölner Ex-Polizeipräsident hat in Karlsruhe erfolgreich geklagt
Christine Frücht durfte also in Bochum nicht mehr als „politische Beamtin“ installiert werden, deren Wohl und Wehe allein vom Innenminister abhängt. Reul berief sie deshalb zunächst in ein Beamtenverhältnis auf Probe, wie das auch bei anderen Leitungspositionen von nachgeordneten Landesbehörden der Fall ist. Da Polizeipräsidentin jedoch kein Verwaltungsjob ist wie jeder andere, wirft die Opposition im Landtag grundsätzliche Fragen auf.
SPD-Innenexpertin Christina Kampmann will von Reul wissen, wie sich die Ernennungspraxis der Polizeichefs ändern muss: „Wenn diese nunmehr nicht als politische Beamte eingestuft werden, dann kann eigentlich auch das Besetzungsverfahren nicht mehr wie zuvor durch Handauflegen erfolgen. Dann müsste es dafür ein transparente Besetzungsverfahren geben - mit offener Auswahl und ohne Vorfestlegung. Inwieweit die jüngsten Besetzungen diesen Kriterien gerecht geworden sind, darf zumindest bezweifelt werden.“
Wie unabhängig sind Polizeipräsidenten in NRW künftig wirklich?
Muss die Behördenleitung in einem Polizeipräsidium künftig sogar ausgeschrieben werden? Und was macht der Innenminister, wenn ein langjähriger Polizeipräsident politisch nicht mehr tragbar ist, obwohl er sich beamtenrechtlich nichts zuschulden hat kommen lassen? Von jetzt auf gleich rauswerfen kann er ihn nicht mehr.
Bis vor das Bundesverfassungsgericht gezogen war der ehemalige Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers, der in Folge der Kölner Silvesterkrawalle 2015/16 sein Amt verloren hatte. Der damalige Innenminister Ralf Jäger (SPD) schickte ihn seinerzeit in den einstweiligen Ruhestand, weil er sich schlecht über die Hintergründe der massenhaften Übergriffe auf Frauen durch junge Migranten in der Nacht des Jahreswechsels informiert fühlte. Albers klagte gegen seine Abberufung und bekam nun nach einem jahrelangen Weg durch die Instanzen Recht.
Karlsruhe machte klar, dass Polizeipräsidenten kein verlängerter Arm des Ministers sind und nicht behandelt werden dürfen wie etwa Staatssekretäre: „Weder ihr Aufgabenbereich oder der ihnen zugemessene Entscheidungsspielraum noch ihre organisatorische Stellung, der Umfang der ihnen auferlegten Beratungspflichten gegenüber der Landesregierung oder andere Gesichtspunkte weisen ihr Amt als ein ‚politisches‘ (…) aus.“
Damit dürfte die Unabhängigkeit der Chefs großer Polizeipräsidien von der politischen Führung wachsen. Die Polizeistruktur in NRW ist ohnehin kompliziert: Insgesamt gibt es 47 Kreispolizeibehörden (KPB). 29 davon liegen in Landkreisen und werden vom jeweiligen Landrat als gewähltem Polizeichef geführt. Für die kreisfreien Städte gibt es weitere 18 Polizeipräsidien, die in Köln (mit Leverkusen), Essen (mit Mülheim) oder Bochum (mit Herne und Witten) für mehrere Kommunen zuständig sind.
Das Verhältnis zwischen Innenministerium und Polizeiführung war schon immer ein sensibles. Lange scheute man sich in NRW, gelernte Polizisten zu Chefs der Präsidien zu machen. Zu groß war die Sorge vor einem Eigenleben der Polizei, das sich politischer Kontrolle entziehen könnte. So wurden häufig Verwaltungsjuristen mit Parteibuch zu Polizeipräsidenten berufen.
Mit der Ernennung von Albers‘ Nachfolger Jürgen Mathies in Köln kam diese Tradition 2016 endgültig an ihr Ende. Mathies hatte sich vom einfachen Streifenbeamten zu einem der angesehensten Polizisten des Landes ohne Parteibuch hochgearbeitet. In der Folge berief Innenminister Reul seit 2017 immer wieder erfahrene Kriminalisten, Clan-Experten oder Staatsanwälte an die Spitze der Präsidien.
„Politisch“ seien Beamte halt nur dann, hat Karlsruher nun klargestellt, wenn „eine fortdauernde Übereinstimmung des Amtsträgers mit den politischen Zielen der Regierung für die wirksame Aufgabenerfüllung unerlässlich ist“. Mancher Polizeipräsident in NRW wird sich diesen Urteilstext für schlechte Zeiten in die Schreibtischschublade legen.