Berlin. Finanzminister Christian Lindner macht angesichts der Steuerschätzung neue Sparvorschläge – und gibt Ehepaaren ein Netto-Versprechen.
Finanzminister Christian Lindner sitzt in seiner Dienstlimousine, er ist gerade aus Brüssel auf dem Berliner Flughafen gelandet. In der Hauptstadt wartet Ampel-Streit. Im Interview, zu dem er sich per Video zuschaltet, sagt der FDP-Vorsitzende auch, was er persönlich nach der Bundestagswahl plant.
Herr Lindner, Sie haben mit Arbeitsminister Heil ein neues Rentenpaket geschnürt. Ist die Rente damit sicher?
Christian Lindner: Damit die Rente langfristig für die Generation der Kinder und Enkel fair und bezahlbar ist, sind weitere Reformen nötig. Ich habe bereits bei der Vorstellung des Rentenpakets II gesagt, dass ein Rentenpaket III kommen muss. Wir erzielen dieses Jahr einen Durchbruch von einer durchaus historischen Bedeutung. Erstmals wird in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Kapitaldeckung eingeführt. Wir legen Geld an den internationalen Kapitalmärkten an, um die zukünftige Beitragsentwicklung zu dämpfen. Aber weitere Maßnahmen sind notwendig, um im Interesse der jungen Generation eine Überlastung zu verhindern …
… nämlich?
In einem Rentenpaket III wird es unter anderem um Anreize für eine längere Lebensarbeitszeit gehen.
Heißt für die Rente mit 63? Aus der FDP-Bundestagsfraktion kam der Vorschlag, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren nur noch Geringverdienern zu ermöglichen.
Es gibt viele Ansätze. Experten haben beispielsweise vorgeschlagen, gesundheitliche Probleme zur Voraussetzung zu machen. Jedenfalls müssen 22 Prozent Beiträge in den 2030er Jahren abgewendet werden. Aktuell möchte mich aber auf die jetzt anstehenden Entscheidungen konzentrieren.
Und dieses Rentenpaket III kommt wann?
Baldmöglichst. Die Vorstellungen von FDP und SPD liegen weit auseinander. Ich vermute, dass wir mit dem Rentenpaket II weitgehend die Grenze dessen sehen, was in dieser Wahlperiode erreichbar ist.
Sie haben das Rentenpaket II von der Tagesordnung des Kabinetts genommen. Wollen Sie die Rente mit 63 in Wahrheit doch schon jetzt kippen?
Nein, denn das Rentenpaket II regelt nicht alle anstehenden Fragen der Rentenpolitik. Es verbindet die Haltelinie beim Rentenniveau mit der Einführung des Generationenkapitals. Letzteres ist ein großer Erfolg im Interesse der jungen Generation. Die Kabinettsbefassung wurde nur verschoben, weil die Geldforderungen einzelner Ressorts für 2025 geradezu provokant waren. Aber auch die Steuerzahler verdienen Respekt, weil sie alles bezahlen müssen. Deren Interessen verteidige ich.
Wann fällt der Beschluss?
Inzwischen hat der Kanzler intern und öffentlich bestätigt, dass die Finanzplanung für alle gilt. Das war mir wichtig. Das Kabinett kann das Rentenpaket II im Lauf des Mai beschließen. Die Debatte über die Zukunft der Rente wird damit aber nicht enden.
Mit der Union könnten Sie eine Rentenreform durchsetzen, die eher Ihren Vorstellungen entspricht. Ist die FDP in der richtigen Koalition?
Die Union verantwortet doch den Reformstau in der Rente mit. Jedenfalls geht es mir um die Sache, nicht um Koalitionsspielereien.
Täuscht der Eindruck, dass die FDP einen Bruch der Ampel provozieren will?
Warum sprechen wir nicht darüber, was unser Land braucht? Wir haben erstens eine Wachstumsschwäche, die strukturelle Gründe hat. Deshalb arbeiten wir an einer Wirtschaftswende. Wir brauchen zweitens einen Staatshaushalt, der Bildung, Investitionen, Landesverteidigung und Wirtschaftskraft ins Zentrum rückt. Dafür müssen wir nicht die Schuldenbremse aufweichen, sondern von Umverteilung, Subventionen und Zinslast umsteuern. Wir haben den Mut, das auszusprechen, was ein ökonomischer Realismus fordert.
Konkret?
2014 war Deutschland Platz sechs in der Wettbewerbsfähigkeit. Dann sind wir über zehn Jahre zurückgefallen auf jetzt Platz 22. Diesen Prozess müssen wir umkehren. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das Wachstumschancengesetz und das Bürokratieabbaugesetz waren Bausteine der Wirtschaftswende. Aber die Lage erfordert mehr, als wir beim Beschluss des Koalitionsvertrags 2021 geplant hatten. Bürokratieabbau, Steuerlast, Energieversorgung und Arbeitsmarktpolitik müssen auf das Ziel Wachstum ausgerichtet werden.
Apropos: An diesem Donnerstag kommt die neue Steuerschätzung. Erleichtert sie einen Kompromiss im Haushaltsstreit?
Ich kann die Steuerschätzung nicht vorwegnehmen. Grundsätzlich gilt: Wir haben in unserem Staat kein Einnahmeproblem. Unser Problem betrifft die Ausgaben. Wir haben immer höhere Anforderungen an den Staat.
Was genau meinen Sie?
Wir finanzieren international enorm viele Projekte, obwohl die harte Sicherheit unseres Landes und die Ertüchtigung der Bundeswehr Priorität haben müssten. Wir haben einen Sozialstaat, der leider zu wenig Anreize gibt zu arbeiten und eher erleichtert, angebotene Arbeit abzulehnen. Das wissen wir inzwischen sogar von Studien aus dem Umfeld der Bundesagentur für Arbeit. Dies zusammen nimmt uns die Spielräume, noch mehr zu investieren und die Bürgerinnen und Bürger noch mehr bei der Steuer zu entlasten. Hier möchte ich umsteuern.
Bedeutet für das Bürgergeld?
Es geht darum, Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit zu bringen. Es ist eine Gerechtigkeitsfrage, dass Leute, die arbeiten können, es auch tun. Damit können wir den Arbeitskräftemangel bekämpfen und zugleich Milliarden Euro gewinnen. Bei der Vermittlung, der Zumutbarkeit von Jobs oder den Mitwirkungspflichten muss die Arbeitsmarktpolitik fordernder werden. Arbeitskräftemangel und die Subventionierung von Arbeitslosigkeit passen nicht zusammen.
Sie haben die Bundeswehr angesprochen, die kriegstüchtig werden soll. Wie gelingt die Finanzierung?
Wir können ungeahnte Spielräume eröffnen, wenn wir unseren Sozialstaat treffsicher auf Bedürftige konzentrieren, wenn wir die internationale Politik fokussieren, wenn wir inzwischen ineffektive und unnötige Subventionen reduzieren. Außerdem sollten wir uns nicht immer mehr Zinsen aufhalsen, indem wir unkontrolliert Schulden machen.
Eine Lockerung der Schuldenbremse, zumindest für Verteidigung, würde manches einfacher machen.
Mit dem 100-Milliarden-Programm habe ich bewiesen, dass ich unorthodox denken und das Notwendige tun kann. Aber wir müssen den Sicherheitsbegriff erweitern. Auch die finanzielle Resilienz des Staates ist ein Faktor von Sicherheit. Wir können nicht über Jahrzehnte Schulden für die Bundeswehr machen, weil uns die Zinsen erdrücken würden.
Sehen Sie Spielraum für Steuersenkungen im kommenden Jahr?
Die Spielräume müssen wir uns erarbeiten. 2021 haben wir mit dem Inflationsausgleichsgesetz dafür gesorgt, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlastet wurden. Allein dieses Jahr in Höhe von 15 Milliarden Euro. Bei der Lohn- und Einkommensteuer wird das 2025 und 2026 fortgesetzt werden. Die Gehaltserhöhung darf bei der arbeitenden Mitte nicht zu überproportional höheren Steuern führen. Kalte Progression wäre eine feige und unfaire Steuererhöhung, während auf der anderen Seite Sozialleistungen an die Inflation angepasst werden.
Der Koalitionsvertrag sieht eine Reform der Steuerklassen vor. Wie weit sind Sie damit?
Zuallererst: Mit der Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5 ist keine Mehrbelastung in irgendeiner Form verbunden. Es sind viele Musterrechnungen im Umlauf, mit denen Menschen Angst gemacht wird. Niemand wird weniger Netto haben. Das ist der große Unterschied zu der von den linken Parteien oft geforderten Abschaffung des Ehegattensplittings. Denn ohne Splitting würden Paare schlechter gestellt.
Und was wird besser mit Ihren Änderungen?
Bei den bisherigen Steuerklassen 3 und 5 hat derjenige Ehepartner mit dem geringeren Einkommen überproportional hohe Steuerlasten. Dadurch scheint sich die Ausweitung der Arbeitszeit aus der Teilzeit heraus weniger zu lohnen, weil der besserverdienende Ehepartner eine geringere Steuerlast hat. Bei der Steuerklasse 4 mit dem sogenannten Faktorverfahren – die es heute schon freiwillig gibt, aber nun zur Regel werden soll – wird die Steuerlast auf beide Partner proportional verteilt. Das ist fairer.
Wann ist es soweit?
Im Jahressteuergesetz 2024 wird die Reform der Steuerklassen geregelt. Wir werden es in wenigen Wochen auf den Weg bringen, und es soll schnellstmöglich in Kraft treten.
Schnellstmöglich heißt: Zum nächsten Jahreswechsel?
Das muss mit den Ländern diskutiert und entschieden werden, die für die Steuerverwaltung zuständig sind. Die Umstellung wird aber etwas Zeit brauchen.
Im kommenden Jahr ist Bundestagswahl, und in den Umfragen liegt die FDP um fünf Prozent. Was ist Ihr Wahlziel?
Unverändert: Wir streben das dritte Mal in Folge ein zweistelliges Wahlergebnis an.
Sie sind erst 45 Jahre alt, aber gefühlt schon ewig in der Politik. Wie sehen Ihre Pläne für die Zeit nach der Wahl aus?
Unverändert habe ich das Gefühl, dass ich gerade erst angefangen habe. Und die Ziele, die mir wichtig sind, werden ja drängender. Selbstverantwortung, Respekt vor Leistung und Eigentum sind doch eher in der Defensive. Unser Bildungssystem ist nicht so, dass alle gute Startchancen haben. Bei der Digitalisierung sind wir nicht führend. Dafür setze ich mich jeden Tag ein und werde nicht müde.
Wollen Sie über 2025 hinaus FDP-Chef und Finanzminister bleiben?
Es ist offensichtlich, dass es im nächsten Bundestagswahlkampf um Freiheit, Generationengerechtigkeit, um die Entlastung der Bürger und um einen Staat geht, der den Menschen effektiv das Leben einfacher macht. Oder ob es zurück geht zu Schulden, Steuererhöhungen und mehr Bevormundung. Klar will ich weiter dafür kämpfen und mitarbeiten, dass unser Land freier, faire, digitaler und moderner wird.
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