Akaba/Jerusalem. Wie viel Leid rechtfertigt das Ziel der Zerstörung der Hamas? Bei seinem Besuch in Israel mahnt der Kanzler Israels Premier Netanjahu.
Für eine ganze Weile sieht es am Sonntag aus, als sei in das deutsch-israelische Verhältnis eine neue Sprachlosigkeit eingezogen. Bundeskanzler Olaf Scholz ist nach Israel gereist, um den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu zu treffen und mit ihm über die Situation im Gazastreifen zu sprechen. Doch am Nachmittag, noch vor dem Termin, macht eine bemerkenswerte Meldung die Runde: Das Gespräch werde zwar stattfinden. Das gemeinsame Statement aber, das nach solchen Gesprächen üblich ist, sei abgesagt. Ein Affront, gegenüber einem der engsten Verbündeten Israels?
So weit kommt es nicht, Netanjahu und Scholz finden schließlich doch noch gemeinsam ihren Weg vor Kameras. Man habe viel telefoniert in den letzten Monaten, sagt Scholz da, aber nichts ersetze ein persönliches Treffen. Netanjahu spricht von einem wichtigen, einem „sehr ernsten“ Gespräch unter Freunden. Doch der Auftritt der beiden am Sonntagabend zeigt auch: Selbst wenn geredet wird, ist die Verständigung ein halbes Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem Beginn von Israels Krieg gegen die Hamas schwierig geworden.
Scholz erinnert an das Schicksal der israelischen Geiseln und ihrer Angehörigen
Der Bundeskanzler, für den es die zweite Reise nach Israel nach dem 7. Oktober ist, betont erneut, dass Deutschland an der Seite Israels stehe und erinnert an das Schicksal der Geiseln und ihrer Angehörigen. Aber er spricht auch an, was der Bundesregierung zunehmend Sorgen macht: Die Folgen der israelischen Militäroperationen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
Einfach erklärt:Die Hintergründe des Kriegs in Gaza und die Pläne Israels in Rafah
Der Preis an menschlichem Leben in den vergangenen fünf Monaten sei „extrem hoch geworden“, sagt Scholz. Israel verfolge ein legitimes Ziel mit dem Kampf gegen die Hamas. Doch je länger der Krieg andauere, je verzweifelter die Situation der Zivilisten in Gaza werde, umso mehr stelle sich die Frage: Egal wie wichtig das Ziel, „kann es so furchtbar hohe Kosten rechtfertigen?“ Oder gebe es nicht auch einen anderen Weg, das Ziel zu erreichen? Er bezieht das ausdrücklich auch auf die angekündigte israelische Offensive in Rafah.
Mit ihrer Sorge um die Menschen in Gaza, vor allem die 1,5 Millionen, die in Rafah Schutz suchen, ist die Bundesregierung nicht allein. Auch die USA haben zuletzt mit Nachdruck gewarnt vor einer großen Offensive in der Stadt an der Grenze zu Ägypten. Joe Biden sprach vor einigen Tagen von einer „roten Linie“, die überschritten werde.
Israels Premierminister Netanjahu: Die Kosten des Krieges sind Israel „wohl bekannt“
Netanjahu hatte schon vor Scholz‘ Besuch klargemacht, dass er keine Absicht hat, sich dem internationalen Druck zu beugen. Eine Offensive in Rafah sei der einzige Weg, die Reste der Hamas zu besiegen und genug militärischen Druck aufzubauen, um eine Freilassung der Geiseln zu erreichen. „Die Kosten des Krieges“, entgegnete er Scholz am Abend, „sind Israel wohl bekannt.“ Der Schlüssel zu Frieden sei Sicherheit. Man werde der Zivilbevölkerung in Rafah aber die Möglichkeit geben, zu gehen.
Netanjahu steht auch innenpolitisch unter Druck. In Tel Aviv und anderen Städten in Israel demonstrierten am Wochenende nach Angaben von israelischen Medien Tausende gegen seine Regierung. Sie forderten einen Deal mit der Hamas zur Freilassung der rund 100 Geiseln, die noch immer in der Gewalt der Terrororganisation sind, und Neuwahlen.
Dass mit den USA und Deutschland selbst die engsten Verbündeten Israels jetzt zunehmend Druck aufbauen, liegt an der desaströsen Lage für Zivilisten in dem Küstenstreifen. Nahrung, Wasser, Medikamente, Strom: Den Menschen fehlt es an allem, Hilfsorganisationen berichten von einer katastrophalen Versorgungssituation. Allein im Norden des Gazastreifens sind nach jüngsten Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF 31 Prozent der Kinder unter zwei Jahren akut mangelernährt. Die medizinische Versorgung ist weitgehend zusammengebrochen.
Luftbrücke für Gaza: Luftwaffe bringt Lebensmittel per Flugzeugabwurf
Über den Landweg kommen kaum noch Hilfsgüter in das Gebiet. Die deutsche Luftwaffe kündigte für den Sonntag einen zweiten Abwurf von Hilfsgütern aus der Luft an, gemeinsam mit Frankreich. Paletten mit ein paar Tonnen vom Nötigsten, abgeworfen aus tausend Meter Höhe. Schon am Sonnabend hatte die Luftwaffe auf diese Art Nahrungsmittel nach Gaza gebracht. Die Kooperation, unter anderem mit Frankreich, den USA und Ägypten, ist ein kleiner Erfolg. Doch was ankommt, ist nicht annähernd genug um die Menschen in Gaza zu versorgen.
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Initiiert hatte diese Luftbrücke Jordanien. Israels Nachbarland im Osten war Scholz‘ erster Stopp auf der Reise, am Sonntagvormittag traf er in der Hafenstadt Akaba am Roten Meer den jordanischen König Abdullah II. Der Monarch gilt als wichtiger Vermittler in der Region. Und neben der akuten Versorgung, so die Hoffnung Deutschlands, könnte er auch auf dem Weg zu einem Ende des Krieges und einer langfristigen Lösung eine wichtige Rolle spielen, wenn es um eine mögliche Reform der palästinensischen Autonomiebehörde geht.
Ein gemeinsames Statement gab es hier nicht. Trotzdem zeigte sich Scholz nach dem Gespräch zufrieden. Der König sei „ein guter Gesprächspartner und ein guter Freund“, sagte Scholz am Sonntagmittag nach dem Gespräch mit dem König in der Hafenstadt Akaba am Roten Meer.
Und die Frage, wie ein friedliches Miteinander zwischen Israel und einem palästinensischen Staat langfristig zu einer realistischen Möglichkeit werden könne, habe in der Unterhaltung eine große Rolle gespielt, sagte der Kanzler. Derzeit allerdings, auch das zeigt diese Reise, scheint das noch sehr weit weg.
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