Berlin. Hunderttausende gehen gegen die rechte Partei auf die Straße. Das schüchtert die AfD ein, kann aber auch unerwünschte Folgen haben.
Hunderttausende gehen gegen Rechtsextremismus und die AfD auf die Straße. Mehr als 800.000 Menschen unterzeichnen eine Petition für ein Verbot der in Teilen als rechtsextremistisch eingestuften Partei. Immer neue Details über die Verbindungen der AfD in die extreme Rechte werden bekannt. Das geht an der zuletzt betont selbstbewussten Partei nicht spurlos vorüber. Die AfD reagiert einerseits mit scharfer Rhetorik und Hetze, andererseits mit Beschwichtigungen und Relativierung.
Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel hielt im Bundestag eine aggressive Rede, in der sie eine „Verleumdungskampagne“ beklagte. Zugleich stellt der Bundesvorstand diese Woche ein „Positionspapier“ über „Remigration“ vor. Es gehe ihr um eine „rechtsstaatliche und gesetzeskonforme Rückführung“, betonte die Partei – wohlwissend, dass in ihren Reihen auch über deutlich radikalere Ideen nachgedacht wird. Auslöser der Demonstrationen war ein Treffen von AfD-Vertretern mit Rechtsextremisten gewesen, bei dem sie Konzepte zur massenhaften Ausweisung von Migranten diskutierten.
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Nach außen geben sich die Spitzen der AfD unbeeindruckt. Parteichef Tino Chrupalla sagt dieser Redaktion, dass er keine Mehrheit erkennen könne, die auf die Straße gehe. „Viele Bürger setzen sich zur gleichen Zeit mit unserer Programmatik auseinander“, so der AfD-Vorsitzende. „Deshalb entscheiden sie sich in Umfragen für die Alternative und damit für Deutschland. Die steigenden Mitgliedschaften geben uns dabei recht.“
AfD: Hinter den Kulissen ist auch Verunsicherung zu spüren
Doch intern ist im Gespräch mit AfD-Politikern durchaus Verunsicherung zu spüren. Demnach fielen in der Partei auch Sätze wie: „An manchen Mitgliedern wird das nicht spurlos vorbeigehen.“ Es brauche jetzt Standhaftigkeit, wenn der Gegenwind zunehme. Und schnell wächst aus dieser Haltung der Glaube, der Protest sei gesteuert, eine Kampagne gegen die AfD, „völlig hysterisch“. Aufgekratztheit liegt jedoch auch in der Stimme der AfD-Politiker. Eine jüngste Wahl in Thüringen könnte ein Hinweis sein, dass die Demonstrationen Ergebnisse der AfD negativ beeinflussen.
In der Stichwahl um den Landratsposten im Saale-Orla-Kreis verlor vergangenes Wochenende AfD-Kandidat Uwe Thrum, wenn auch knapp, gegen CDU-Politiker Christian Herrgott. Im ersten Wahlgang hatte Thrum noch deutlich vorne gelegen. In der zweiten Runde stieg die Wahlbeteiligung von 66 auf 69 Prozent. Davon profitierten beide Kandidaten, der CDU-Bewerber jedoch deutlich stärker. Eine Folge der Demonstrationen? Möglich. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke sagte, dass das Blatt durch „die gegnerischen Kräfte des ganzen Landes“ gewendet worden sei.
AfD sackt ab: Wegen der Proteste – oder wegen Wagenknecht?
Abzuwarten bleibt, ob die AfD einen solchen Effekt bei den Kommunalwahlen und der Europawahl im Juni sowie bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September zu spüren bekommt. In mehreren bundesweiten Umfragen fiel die AfD nun wieder auf unter 20 Prozent. Eine Rolle kann aber auch spielen, dass die neue Partei BSW von Sahra Wagenknecht in die Erhebungen aufgenommen worden ist. Forschungen zeigen an Beispielen im Ausland, dass Demonstrationen gegen rechte Parteien durchaus Folgen für deren Wahlergebnisse haben können.
So führten in Italien 2020 örtliche Proteste gegen die Lega von Matteo Salvini dazu, dass die Rechtspartei in der Region Emilia-Romagna etwa vier Prozentpunkte schlechter abschnitt. „Die Proteste wirken in eine Gesellschaft hinein“, erläutert der Autor Friedemann Karig im Gespräch mit dieser Redaktion. „Rechtsextreme Parteien werden dadurch stigmatisiert in dem Sinne: Die wählt man nicht.“ Zudem gehe mit Demonstrationen eine Aufklärung einher über die konkreten Positionen der Rechtsextremen. „Auch das hat einen Effekt der Abschreckung“, sagt Karig, der in Kürze ein Buch zur Wirkung von politischem Protest veröffentlicht.
Forscherin: „Radikale in der Rechten erleben eine Erniedrigung“
Allerdings ließen sich Wahlergebnisse durch Proteste nur direkt vor der Wahl beeinflussen. „Die AfD hat jetzt in Umfragen etwas verloren, das kann sich aber auch wieder ändern“, gibt Karig zu bedenken. „Die Demonstranten müssen also noch Durchhaltevermögen zeigen, wenn sie bei den Wahlen in diesem Jahr eine Wirkung gegen die AfD erzeugen wollen.“
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Es gibt jedoch einen weiteren möglichen Effekt dadurch, dass die AfD derzeit unter Druck gerät: eine Radikalisierung der Partei und mancher ihrer Anhänger. Darauf weist die Forscherin Julia Ebner im Gespräch mit unserer Redaktion hin. „Radikale in der Rechten erleben nun eine Erniedrigung, wenn Hunderttausende gegen sie demonstrieren.“ Der Glaube, in der Mehrheit zu sein, bekomme Risse. Zugleich würden Proteste und Debatten den Druck auf die Aktivisten in der extremen Rechten erhöhen, so die Extremismus-Expertin von der Universität Oxford. „Die Gefahr ist, dass für den extremistischen Teil der rechten Bewegung nun Gewalt einen noch größeren Stellenwert in der Strategie bekommt.“
Die Sicherheitsbehörden beobachten, wie die AfD und ihr Umfeld sich jetzt verhalten. „Wenn die Mitte der Gesellschaft für Demokratie und Toleranz aufsteht, trifft das die Intoleranten und Demokratiefeinde“, sagt Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) dieser Redaktion. Deshalb seien in den Kommentarspalten rechtsextremistischer Influencer „Trotzreaktionen und überhitzter Hass“ gegen Anti-AfD-Demos zu lesen. „Rechtsextreme spüren, dass der Gegenwind stärker wird“, schlussfolgert Reus. Autor Karig formuliert es so: „Getroffene Hunde bellen.“
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