Kiew. Die Gewässer vor der Krim bleiben für Russland gefährlich. Die Ukraine hat zwar kaum Kriegsschiffe, aber eine wirksame Alternative.
- Die Ukraine besitzt kaum Kriegsschiffe, was die Lage auf dem Schwarzen Meer im Kampf gegen Russland beinahe aussichtlos machen könnte
- Doch die Realität sieht anders aus: Mit Seedrohnen feiern die Ukrainer beachtliche Erfolge
- Wie ist das möglich?
Es war die Nacht auf den 17. September 2022, als Wassyl Maljuk, Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU, Oleksij Nejischpapa, Kommandeur der Seestreitkräfte, sowie Digitalminister Mychajlo Fedorow aus einem Bunker heraus ein historisches Militärereignis beobachteten: Den ersten Angriff mit Überwassendrohnen. Er richtete sich gegen den Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der 2014 annektierten Krim-Halbinsel. Die Ukrainer wollten russische Raketenträger treffen, die ihr Land mit Marschflugkörpern der Klasse Kalibr beschießen.
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Die Aussichten auf Erfolg waren gering. Doch diese fünf mit je 108 Kilogramm TNT ausgestatteten Seedrohnen schafften es in die Nähe von Sewastopol. Das Vorhaben hätte sogar glücken können, hätte Elon Musk nicht eingegriffen. Die Drohnen waren nur 70 Kilometer von der „Admiral Makarow“ entfernt, einem der wichtigsten Schiffe der Schwarzmeerflotte, als ihr Zugang zu Starlink-Terminals abgeschaltet wurde. Zu groß war Musks Angst vor einer Eskalation.
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Zwei von fünf Drohnen konnten zurückgeholt werden. Sie gaben wichtige Informationen, die wenig später dafür genutzt wurden, um gleich zwei Schiffe, unter anderem die „Admiral Marakow“, zu treffen. So begann der ukrainische Seekrieg gegen Russland. Er führte letztlich auch dazu, dass die Ukraine ihr Getreide wieder durch das Schwarze Meer exportieren kann.
Elon Musk: Rückzieher aus Angst vor einer Eskalation
Dass Russland im Schwarzen Meer aufpassen muss, wurde schon im Februar 2022 klar. Die ersten Starts der ukrainischen Seezielflugkörper Neptun waren damals zwar erfolglos. Doch sie wurden so verbessert, dass sie bereits im April die „Moskwa“, das Flagschiff der Schwarzmeerflotte, versenken konnten. Darauf folgte die Befreiung der Schlangeninsel 40 Kilometer von der ukrainischen Küste entfernt, die dank des gemeinsamen Einsatzes der eigenentwickelten Radhaubitze Bohdana und der französischen Haubitze Ceaser gelang. Für Russland wurde es klar: Sich näher als 150 Kilometer an die ukrainische Küste zu bewegen, ist gefährlich. Sie operierten dennoch weiter im Schwarzen Meer und feuerten ihre Raketen wie zuvor in der Nähe der Krim ab.
Die Ukraine brauchte eine Lösung mit größerer Reichweite, um stetigen Druck auf die Schwarzmeerflotte auszuüben. „Präsident Selenskyj stellte uns vor die Aufgabe: Die Ukraine sollte das Schwarze Meer beherrschen“, sagt SBU-Chef Maljuk. Die Labore seines Geheimdienstes haben unter Führung des Kommandeurs der Seestreitkräfte Nejischpapa die Seedrohnen namens SeaBaby entwickelt und sie seitdem verbessert.
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„Die Idee war: Ein gewöhnliches Boot zu nehmen und es mit einem Außenbordmotor, Triebwerken sowie Starlink auszustatten“, erklärt einer der Entwickler mit dem Spitznamen Hunter gegenüber Ukrajinska Prawda. „Wir wussten, dass wir damit kein großes Schiff versenken können. Wir können es aber für lange Zeit außer Gefecht setzen.“ Inzwischen sind die Seedrohnen mit drei unterschiedlichen Kommunikationssystemen ausgestattet. Zudem tragen sie 850 statt 108 Kilogramm TNT, der Drohnenkörper besteht aus Material, das der Radar nicht erkennt. Außerdem ist ein Flammenwerfersystem installiert.
Für den Bau von Kriegsschiffe fehlt Zeit und Geld. Die Lösung ist ein Drohnenschwarm
Genau dieses Modell traf am 17. Juli 2023 die Krim-Brücke. Eine andere, die vom Militärgeheimdienst HUR entwickelte Magura-Drohne, war ebenfalls bereits mehrfach erfolgreich. Die Ukraine hat weder Zeit noch Geld, um jetzt große Kriegsschiffe zu bauen. Sie kann aber für eine Art Drohnenschwarm sorgen, zu dem etwa Flugabwehrdrohnen, Kamikazedrohnen oder Drohnen mit Waffen gehören.
Schon jetzt hat die russische Schwarzmeerflotte ihre Präsenz auf der Krim stark verringert und nutzt den anderen Stützpunkt in Noworossijsk, der auch schon von SeaBaby getroffen wurde. Daher baut die Schwarzmeerflotte einen zusätzlichen Stützpunkt in Abchasien. Doch nur in Sewastopol können Schiffe mit Kalibr-Marschflugkörpern beladen werden. Und auch nur auf der Krim können große Kriegsschiffe vollständig repariert werden. Das macht sie verwundbar.
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