Berlin. Die Europawahl wird für Sahra Wagenknecht und ihre Partei zum Testballon. Steigen lässt sie ihn aber nicht allein – aus gutem Grund.
Lange hat Sahra Wagenknecht ein Geheimnis gemacht um ihre politischen Ambitionen – nun tut sie es tatsächlich: Die frühere Linken-Frontfrau ist Gründerin, Vorsitzende und Gesicht einer neuen Partei, des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Noch ist völlig unklar, wie sich die Parteienlandschaft mit Antritt von BSW verändern wird, doch fest steht: Nicht nur zu den 2024 anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen will Wagenknecht den Wählerinnen und Wählern ein Angebot machen, auch die Europawahlen am 9. Juni soll BSW aufmischen.
Dass Wagenknecht selbst als Spitzenkandidatin antreten könnte, ist inzwischen vom Tisch. Vielmehr setzt die 54-Jährige auf zwei andere bekannte Gesichter: den früheren Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel und das einstige Linken-Urgestein Fabio de Masi. Ihnen kommt im Gründungsjahr von BSW eine besondere Bedeutung zu, denn ihr Abschneiden bei der Europawahl wird zeigen, ob Wagenknecht mit ihrer Partei verfängt oder BSW einen Fehlstart hinlegt. Wer sind die beiden Männer? Und welche eigenen Ziele verfolgen sie?
Thomas Geisel – mit seinem Abgang überraschte er die SPD
Sein Austritt aus der SPD nach vier Jahrzehnten markierte den ersten politischen Knall des Jahres in Nordrhein-Westfalen und überrumpelte seinen Landesverband. In einem Schreiben, über das zuerst die „Westfälische“ berichtete, erklärte der 60-Jährige nicht nur, dass er den Sozialdemokraten den Rücken kehrt, sondern auch in die Wagenknecht-Partei eintritt. „Immer mehr Menschen scheinen die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass Politik noch irgendetwas Gutes bewirken kann“, schrieb er. BSW könne diesen Trend stoppen.
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Geisel war 1983 in die SPD eingetreten, als Höhepunkt seiner politischen Karriere gilt seine Wahl zum Oberbürgermeister von Düsseldorf, 2020 wurde er abgewählt. Mit Sahra Wagenknecht verbinden ihn seine politischen Positionen: Seine Kritik an deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine liegt auf gleicher Linie mit Wagenknecht, die wegen ihrer Haltung zum Überfall Russlands auf dessen Nachbarland immer wieder in der Kritik steht. Geisel hatte den früheren Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrej Melnyk, zudem als „PR-Profi“ bezeichnet und infolge des Massakers in Butscha die „ukrainische Genozid-Rhetorik“ kritisiert.
Auch mit dem Osten Deutschlands verbindet Geisel eine besondere Geschichte. Der Jurist arbeitete kurz nach der Wende in der ersten frei gewählten Volkskammer, 1994 wechselte er zur Treuhandanstalt – war verantwortlich für die Privatisierung der DDR-Chemiekombinate Buna und Leuna. Bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag habe er sich meistens den „Ossi-Hut“ aufgesetzt und darum gerungen, vom Westen nicht über den Tisch gezogen zu werden, sagte er später in einem Interview mit der „Westdeutschen Zeitung“. Auch in der Asylpolitik teilt er Wagenknechts Positionen. Die hatte einen härteren Kurs gegen Zuwanderer gefordert.
Fabio de Masi – loyal zu Wagenknecht, kompromisslos zur Linken
Auch de Masi verließ seine Partei und trat 2024 BSW bei. Der Deutsch-Italiener saß für die Linke von 2017 bis 2021 im Bundestag. Seinen Austritt erklärte er damit, dass er „nicht mehr in Verantwortung für das eklatante Versagen der maßgeblichen Akteure in dieser Partei in Verantwortung genommen werden“ wolle. Allerdings schloss er auch aus, sich „in absehbarer Zeit in einer anderen politischen Formation zu engagieren“. Nun hat er sich offensichtlich umentschieden. De Masi hat europapolitische Erfahrung. Er war von 2014 bis 2017 Abgeordneter im Europaparlament – und kennt sich aus mit dem politischen Betrieb in Brüssel.
Als Finanzpolitiker hat sich de Masi zudem über Parteigrenzen hinweg einen Namen gemacht. Als Europapolitiker hatte de Masi einen Platz im Untersuchungsausschuss zu den Panama Papers, die Tricks zur Steuervermeidung von Prominenten und Politikern offengelegt hatten. Im Kontext mit dem Cum-Ex-Skandal in Deutschland wird er als „Scholz-Jäger“ bezeichnet, weil er immer wieder die Erinnerungslücken des Kanzlers hinterfragte und sogar Anzeige gegen Olaf Scholz wegen des Verdachts auf Falschaussage erstattet hatte.
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De Masi und Wagenknecht kennen sich lange, als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitete er auch in ihrem Büro. Der 43-Jährige engagierte sich 2018 auch in der „Aufstehen“-Bewegung, die ebenfalls Wagenknecht gegründet hatte – und aus der sich Wagenknecht aber nach einem Burnout zurückzog. Offenbar hat das dem Vertrauensverhältnis zwischen beiden nicht geschadet. Ob sich de Masi auch dauerhaft mit der rigorosen Asylpolitik von BSW anfreunden kann, ist allerdings fraglich.
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