Berlin. Der ägyptische Botschafter spricht über Vermittlungsversuche im Krieg, die Auswirkungen auf den Tourismus und die Rolle Deutschlands.
Deutschland und Ägypten pflegen enge Beziehungen, auch im Sicherheitsbereich. In ihrer Position zum Gaza-Krieg sind die beiden Länder jedoch weit voneinander entfernt – und das, obwohl Ägypten eine der wichtigsten Regionalmächte im Nahen Osten ist und bereits im Jahr 1979 Frieden mit Israel schloss. Deutschland habe eine besondere Verantwortung, sagt der ägyptische Botschafter in Berlin, Khaled Galal Abdelhamid, im Interview. Und er richtet einen Appell an die Bundesregierung.
Herr Botschafter, der aktuelle Krieg dauert bereits drei Monate. Welche Rolle spielt Ägypten?
Khaled Galal Abdelhamid: Es ist Ägyptens strategisches Ziel, eine Verhandlungslösung zu erreichen, die beiden Völkern Selbstbestimmung und friedliches Zusammenleben sichert. Die Israelis haben seit 1948 einen eigenen Staat. Bis heute gibt es keine Lösung für die palästinensischen Rechte, den palästinensischen Staat und das Ende der Besatzung. Das führt zu Instabilität, Widerstand und Konflikten. Dies ist der fünfte Krieg im Gazastreifen seit 2007 und wir setzen uns aktiv für sein Ende ein, aufgrund der enormen Verluste an Menschenleben zunächst am 7. Oktober und dann im Krieg gegen Gaza. Wir versuchen, die Voraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen. Es ist uns gelungen, den ersten Waffenstillstand und Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas auszuhandeln. Das ist auch Inhalt unseres zweiten Friedensplans oder -vorschlags.
Die Hamas lehnt den Plan Ägyptens für einen Waffenstillstand ab und Israel reagiert nicht wirklich darauf.
Es war kein formaler Plan, eher Ideen, die unter den Akteuren verbreitet wurden. Das Problem bei der Verlängerung dieses Krieges ist, dass jede Seite einen immer höheren Preis zahlt, und je höher der Preis, desto schwieriger wird es, den Krieg zu beenden. Die Hamas ist nicht besiegt und feuert weiterhin Raketen auf israelische Städte ab. Gleichzeitig ist es Israel nicht gelungen, die Führung der Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien. Die Hamas sieht sich selbst als Widerstandsbewegung, und die Israelis haben das Gefühl, ihr Ziel der Zerstörung der Hamas nicht erreicht zu haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Ziel nicht realistisch ist, da es Ausdruck der Idee von Widerstand gegen Besatzung ist. Ideen kann man nicht zerstören. Wir brauchen mehr Gespräche mit beiden Parteien, bis sie bereit sind, etwas anderes zu akzeptieren als die derzeitigen Kämpfe.
Besteht nach der Tötung von Saleh Al-Aruri im Libanon noch die Möglichkeit einer weiteren Vereinbarung, eines Geiseldeals? Oder hat die Gefahr einer regionalen Ausweitung des Krieges zugenommen?
Ich denke, das hat sie. Zwischen der Hisbollah und Israel herrscht bereits jetzt ein Krieg niedriger Intensität. Die Ermordung Al-Aruris verschärft die Lage und mit der steigenden Zahl der Toten werden Verhandlungen immer schwieriger. Zugleich ist Al-Aruri nur eine Person. Historisch gesehen wird in der palästinensischen Widerstandsbewegung jeder getötete Führer von einem anderen abgelöst, es gibt eine Kontinuität. Ich glaube nicht, dass wir das personalisieren können.
Welche Position nimmt Ägypten ein, würde die Hisbollah Israel den Krieg erklären?
Krieg widerspricht unserer Vision des Nahen Ostens. Für uns ist Frieden eine strategische Entscheidung. Alles andere führt zu Zerstörung und Verlust von Menschenleben, wirft alle Entwicklungspläne zurück. In Ägypten leidet der Tourismus, Touristen zögern, auf den Sinai zu reisen, wenn ein paar Kilometer weiter Bomben fallen. Die Schifffahrt im Suezkanal, der größten Devisenquelle Ägyptens, wird durch die Unsicherheit im Roten Meer beeinträchtigt. Wir haben in der Region, inklusive Israel und der Palästinenser, ein kollektives Interesse an einer Stabilisierung und einem friedlichen Prozess.
Findet ein Austausch zwischen Israel und Ägypten statt?
Die Gespräche zwischen Ägypten und Israel haben nie aufgehört. Beide Seiten sind sehr darauf bedacht, Fehltritte zu vermeiden, und es gibt einen ständigen Dialog zwischen den Sicherheitsapparaten.
Was erwarten Sie von Deutschland im aktuellen Konflikt?
Zunächst: Wir verstehen die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und die Bürde, die das deutsche Volk angesichts der Nazi-Praktiken gegen die Juden zu tragen hat. Deutschland hat aufgrund seiner Stellung in der Welt, der Art seiner Demokratie, seiner Nähe und Beziehung zur Region eine besondere Verantwortung für die Einhaltung des Völkerrechts und sollte zu einem sofortigen Waffenstillstand aufrufen. Es gab seit Beginn des Kriegs einen leichten Wandel, aber nicht genug. Anfangs sagten deutsche Politiker: „Wir stehen zu Israel, Israel hat das Recht und die Pflicht, sich zu verteidigen“. Natürlich ist das Recht Israels sich zu verteidigen, genau wie das jedes anderen Landes, als Grundsatz in der UN-Charta verankert. Später fügte man hinzu: „Wir erwarten, dass Israel Völkerrecht respektiert“.
Das heißt?
Zehntausende Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, wurden getötet, Krankenhäuser bombardiert, die Bevölkerung durch den Entzug von Strom, Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten kollektiv bestraft, fast 900.000 Menschen vertrieben. Deutschland hat Israel noch nicht aufgefordert, seine Operationen einzustellen, die eine schwere Verletzung des Völkerrechts und des humanitären Völkerrechts darstellen, da es die Besatzungsmacht ist. Das besprechen wir mit Abgeordneten und unseren Kollegen aus dem Außenministerium.
Teilen Ihre deutschen Kollegen die Position der Bundesregierung?
Ich kann Ihnen nicht sagen, was man mir im Vertrauen erzählt. Aber als Menschen, die das riesige Ausmaß an Zerstörung und Leid sehen, müssen wir ein Ende des Krieges fordern.
Deutschland war das erste Land, das 2015 Präsident Abdel Fattah Al-Sisi empfing. Die deutsch-ägyptischen Beziehungen waren eigentlich sehr gut.
Das sind sie immer noch, deshalb können wir diese Art von Gesprächen führen. Das Vertrauen zwischen den Führungen ist groß. Und es gibt eine lange Geschichte der Zusammenarbeit in Bildung, Tourismus, Studierendenaustausch, Kultur, Handel, Investitionen und Wirtschaft sowie strategisch und politisch. Ägypten und Deutschland sind zwei regionale Führungsmächte, die zusammenarbeiten, um Frieden, Stabilität und Wohlstand im Nahen Osten und in Europa zu sichern.
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