Düsseldorf. Die organisierte Kriminalität ist immer noch ein Problem in NRW. Stellungnahmen für eine Anhörung im Landtag weisen auf große Missstände hin.

Polizeigewerkschafter, Wissenschaftler und die SPD-Opposition sehen in Nordrhein-Westfalen noch viel Handlungsbedarf bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität (OK). In Stellungnahmen für eine Anhörung im Landtag an diesem Dienstag weisen sie auf personelle und organisatorische Mängel hin, aber auch auf Rechtslücken, die einen schnellen Zugriff oft erschweren. Vor allem die Polizei-Praktiker schildern in ihren schriftlichen Berichten eklatante Missstände.

Polizei in NRW hat mit organisierter Kriminalität alle Hände voll zu tun

Illegale Einreisen: Seit Einführung temporärer Grenzkontrollen Mitte Oktober auch an den deutschen Grenzen zu Tschechien, Polen und der Schweiz habe die Bundespolizei allein innerhalb von vier Wochen rund 11 000 illegale Einreisen festgestellt und 266 Schleuser festgenommen, bilanzierte die Bundespolizeigewerkschaft (DPolG). Dabei seien 670 Haftbefehle vollstreckt, rund 400 Fahndungstreffer erzielt, 329 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie 173 Verstöße gegen das Waffengesetz zur Anzeige gebracht worden. Allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres habe die Bundespolizei in NRW in ihrem Zuständigkeitsbereich rund 4000 unerlaubte Einreisen und 7758 unerlaubte Aufenthalte festgestellt.

Tote in Lkws: Vor allem zur wirksamen Bekämpfung menschenverachtender Schlepperbanden fehlten der Bundespolizei aber rechtliche Befugnisse, etwa für Online-Durchsuchungen und Überwachung von Telekommunikation, bemängelte die DPolG. Was es bedeute, wenn die Polizei nicht die Instrumente habe, einschlägig Verdächtige im Visier zu behalten und zu identifizieren, zeigten dramatische Einsätze, wo im schlimmsten Fall nur noch tote Flüchtlinge in Kühllastwagen gefunden würden. Solche „Behältnisschleusungen“ nähmen stetig zu.

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Bargeld-Limit: Aus Sicht des NRW-Landesverbands der DPolG muss alles getan werden, um die komplexen Finanzströme organisierter Krimineller besser durchleuchten und ihr illegal erlangtes Vermögen konsequent abschöpfen zu können. Bis jetzt lasse die dazu nötige Vernetzung der Ermittlungsbehörden allerdings zu wünschen übrig: „In Deutschland enden Zuständigkeiten und bilateraler Austausch bereits an der Grenze zum nächsten Bundesland“, kritisierte die Gewerkschaft. Sie fordert außerdem eine Bargeld-Obergrenze in Deutschland und eine Umkehr der Beweislast: „Die Beschuldigten müssen belegen können, woher die Finanzmittel stammen.“ Notfalls müsse dafür das Grundgesetz geändert werden.

Die italienische Mafia ist weiter in NRW aktiv

Italienische Mafia: Unter der Vielzahl krimineller Organisationen zeichneten sich die italienischen durch besondere Langlebigkeit und Integrationsfähigkeit aus, stellt die Soziologin Zora Lea Hauser von der Universität Oxford in ihrer Stellungnahme fest. Dazu gehörten die sizilianische Cosa Nostra, die neapolitanische Camorra und die kalabrische ‚Ndrangheta - letztere am weitesten verbreitet. „In Nordrhein-Westfalen sind einige der ältesten und einflussreichsten Clans der ‚Ndrangheta aktiv“, schreibt die Forscherin. Deren gewaltsames Potenzial habe sich auf dramatische Weise bei den Duisburger Mafiamorden 2007 gezeigt.

Innere Sicherheit: „Die italienischen Mafiaorganisationen, insbesondere die ‚Ndrangheta, stellen eine sehr spezifische Bedrohung für die innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen und Deutschland insgesamt dar“, lautet Hausers Fazit. „Sie untergraben das demokratische Leben, indem sie sich in die Gesellschaft und die Wirtschaft integrieren und Institutionen von innen heraus korrumpieren, anstatt sich ihnen von außen entgegenzustellen.“ Aus dieser sicheren Position heraus spielten sie eine Schlüsselrolle sowohl auf nationalen als auch internationalen kriminellen Märkten, importierten Tonnen von Kokain und verdienten damit Millionen.

Geldwäsche in der Eisdiele: Nützlich seien für die Mafiosi vor allem Investitionen im Gastronomiesektor: „Restaurants oder Eisdielen sind nicht nur eine einfache Möglichkeit, Geld zu waschen, sondern bieten auch eine legale Fassade, durch die kriminelle Unternehmen getarnt werden können“, erklärt Hauser. Für Polizei und Justiz sieht sie noch viel Schulungsbedarf, um das Geflecht zu durchdringen.

Die Erforschung von organisierter Kriminalität ist in Deutschland schwach

Forschung: Aus Sicht des Osnabrücker Rechtswissenschaftlers Arndt Sinn ist die OK-Forschung in Deutschland „auf niedrigem Niveau“. Entsprechend dünn sei die Datenlage für Bedrohungsszenarien. Er empfiehlt eine Bund-Länder-Koordinationsstelle zur Analyse der OK. Darüber hinaus listet er zahlreiche rechtliche Defizite bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche auf.

Konsequenzen: Nach Meinung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) NRW sind die Problemlagen im Wesentlichen längst analysiert. Überfällig sei hingegen „ein klares politisches Signal, dass die Stärkung der Kriminalitätsbekämpfung zum Nulltarif nicht darstellbar ist“. Auch die SPD-Landtagsfraktion, die die Anhörung beantragt hatte, fordert mehr Personal bei Polizei, Justiz, Steuerfahndung und insbesondere mehr IT-Spezialisten zur Bekämpfung organisierter Kriminalität im Cyberraum. Letzteres hebt auch Strafrechtler Arndt Sinn hervor. (dpa)