Berlin. Militärexperte Carlo Masala hält die Lage der Ukraine im Krieg für brenzlig, denn es fehlt an vielem – und nun droht neues Ungemach.

Die muss befürchten, dass die militärische und finanzielle Unterstützung der USA bald versiegen könnte. Im Kampf gegen Russland brauche das Land jetzt dringend Munition, sagt der Militärexperte Carlo Masala. Der Professor der Bundeswehr-Universität München erläutert, woran es den ukrainischen Streitkräften besonders fehlt.

Auf dem Schlachtfeld gibt es kaum noch Bewegung. Was ist da los?

Carlo Masala: Jetzt im Winter nimmt die Intensität der Kämpfe ab, das war zu erwarten. Das militärische Geschehen konzentriert sich derzeit auf die Kleinstadt Awdijiwka bei Donezk. Die Ukrainer nutzen die Schlacht dort, um den Russen hohe Verluste zuzufügen. Vermutlich werden sie die Stadt irgendwann aufgeben, weil sie taktisch nicht mehr zu halten ist. Bislang kommen aber auf jeden ukrainischen Soldaten, der verletzt oder getötet wird, 18 bis 20 Verluste auf russischer Seite.

Die US-Regierung warnt, dass Ende Dezember das Geld für die Unterstützung der Ukraine ausgehen könnte. Ist das eine reale Gefahr oder das übliche Geplänkel im Haushaltsstreit?

Die Gefahr ist real. Vor allem angesichts der Tatsache, dass die US-Republikaner die Hilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan in Geiselhaft genommen haben für Konzessionen mit Blick auf die Grenzsicherung zu Mexiko. Eigentlich hat es in den USA Tradition, außenpolitische Entscheidungen nicht mit innenpolitischen zu verknüpfen. Die zentrale Frage ist, inwiefern die Biden-Regierung bereit ist, hier den Republikanern entgegenzukommen.

Wie lange könnte die Ukraine ohne weitere US-Unterstützung durchhalten?

Sie könnte schon noch einige Zeit durchhalten, weil die Europäer und insbesondere Deutschland ihre Hilfen massiv erhöht haben. In den USA geht es jetzt um 61 Milliarden Dollar. Die bisherigen Pakete waren größer. Im Grunde geht es darum, was genau mit dem Geld angefangen wird.

Was brauchen die Ukrainer am meisten?

Sie brauchen vor allem Munition. Die können die Amerikaner liefern, aber nicht die Europäer. Ihnen fehlt zudem alles, um Luftüberlegenheit herzustellen. Die Taurus-Marschflugkörper, die Deutschland liefern könnte, aber nicht will, gehören nicht in diese Kategorie. Die wären vor allem interessant, um die Brücke von Kertsch zu zerstören, die das russische Festland mit der Krim verbindet. Ein weiteres Problem der ukrainischen Streitkräfte: Sie haben noch kein wirksames Mittel gegen die Drohnen aus iranischer Produktion gefunden, die die Russen massenhaft einsetzen.

Ist Wladimir Putins Russland in Sachen Waffenproduktion und -beschaffung inzwischen besser aufgestellt als die Ukraine und ihre Unterstützer?

Bei der Produktion ist das definitiv der Fall. Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und fertigt im großen Stil Panzer und Munition. Es ist in der Lage, jede Menge Material an die Front zu werfen. Das lässt zwar qualitativ zu wünschen übrig. Aber die alte russische Strategie besteht darin, dass Quantität mit der Zeit eine Qualität an sich wird. Aus dem Iran bezieht Russland Drohnen. Und Nordkorea soll eine Million Schuss Munition geliefert haben. Die hat zwar offenbar eine hohe Ausfallrate. Aber auch hier sticht Quantität im Zweifel Qualität.