Berlin. 12 Prozent mehr Bürgergeld ab 2024? Ist in der Haushaltskrise nicht drin, finden Union und FDP. Was ein Experte zu den Sparplänen sagt.
Der Staat muss sparen. Auch drei Wochen nach dem Urteil aus Karlsruhe gibt es noch keinen Plan, wie das klaffende Loch im Haushalt geschlossen werden könnte, das Geld ist knapp. Und ausgerechnet in dieser Situation steigen zum Jahreswechsel die Regelsätze im Bürgergeld. Das passt nicht zusammen, findet die Union – aber auch die Ampel-Partei FDP. Sie fordern, die Erhöhung noch einmal zu überdenken. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) widerspricht.
Wie viel Geld gibt der Staat für das Bürgergeld aus?
Heils Etat ist der größte Einzelposten im Bundeshaushalt. Mit rund 170 Milliarden Euro macht der Sozialetat nach den bisherigen Planungen im kommenden Jahr etwa ein Drittel des gesamten Staatshaushalts aus. Davon sind Ausgaben von knapp 28 Milliarden Euro für die etwa 5,4 Millionen Bürgergeldempfänger kalkuliert.
Wie hoch ist das Bürgergeld?
Ein Alleinstehender erhält derzeit 502 Euro, ein Paar bekommt zusammen 902 Euro. Ab Jahresbeginn 2024 steigen die Regelsätze um etwa zwölf Prozent. Der Regelbedarf für Alleinstehende steigt um 61 auf 563 Euro. Paare bekommen je Partner anstatt wie bisher 451 Euro ab Januar 506 Euro. Hinzu kommen die Kosten für Unterkunft, das sind Miete und Heizkosten.
Wie berechnet sich das Bürgergeld?
Alle fünf Jahre erhebt das Statistische Bundesamt eine Statistik, die aufgrund einer Befragung von rund 80.000 Haushalten aller Einkommensklassen einen Überblick liefert über deren Einkommen, Vermögen und Ausgaben. Eine Sonderauswertung der Ausgaben der Haushalte in den unteren 20 Prozent der Einkommen ist die Basis für die Berechnung des Regelsatzes.
Diese Kalkulation unterscheidet sich von dem Warenkorb, mit dem die Inflation berechnet wird. Heizkosten etwa werden nicht berücksichtigt, weil Bürgergeldempfänger diese nicht selbst tragen. Auch Kosten für Benzin sind nicht mit abgedeckt, weil Anschaffung und Nutzung eines Autos oder Motorrads laut Arbeitsministerium nicht unter das soziokulturelle Existenzminimum fallen.
Diese Festlegung, sagt Verfassungsrechtler Joachim Wieland von der Universität Speyer, sei im Kern eine politische. „Diese Bewertung ist mit Einschätzungen verbunden, da kann man immer über Einzelheiten streiten“, erklärt er. „Welche Lebensmittel muss man sich kaufen können? Kann man Leuten zumuten, zur Tafel zu gehen? Wie viel Geld muss für Handyverträge oder mal einen Kinobesuch drin sein?“
Welche Rolle spielt die Inflation?
Die Grundsatzentscheidung darüber, welche Ausgabe als notwendig erachtet werden, trifft der Gesetzgeber alle fünf Jahre neu. In den Jahren dazwischen steigen die Regelbedarfe automatisiert, angepasst an die Inflation. Die Ampel-Koalition hatte hier die Regeln verändert, damit die Teuerungsrate schneller abgebildet wird. Zuvor waren die Sätze mit 18 Monaten Verzögerung an die Inflation angepasst worden.
Kann die Bürgergeld-Erhöhung zum 1. Januar zurückgenommen werden?
Dafür wäre eine Gesetzesänderung erforderlich. Aber: „Die Auszahlungsprozesse laufen bereits“, sagt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit. „Es ist technisch nicht mehr möglich, für Januar 2024 andere als die bisher veröffentlichten Werte umzusetzen.“
Wäre eine Senkung zu einem späteren Zeitpunkt möglich?
Es gibt auch juristische Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit der staatlichen Hilfsleistung befasst. „Da gibt es strikte Vorgaben: Das Bürgergeld muss das Existenzminimum garantieren, abgeleitet aus dem Verfassungsgrundsatz der Würde des Menschen“, sagt Verfassungsrechtler Wieland. „Und die Berechnung des Existenzminimums muss nachvollziehbar, transparent, zeitnah geschehen.“ 2022 habe die Erhöhung deutlich unter Inflationsrate gelegen. „Deswegen gab es Nachholbedarf, das hat man jetzt nachgeholt“, sagt Wieland. „Ich sehe nicht, wie man das in nennenswertem Umfang rückgängig machen kann.“
Lohnt sich arbeiten dann noch?
Unter anderem CDU-Chef Friedrich Merz argumentiert, dass mit den steigenden Sätzen im Bürgergeld die Lücke zu dem, was Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen verdienen, schwinde, und mit ihr der Anreiz zu arbeiten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund widerspricht und rechnet vor: Eine alleinstehende Person, die 38 Stunden pro Woche zum Mindestlohn von 12,41 Euro arbeite, verdiene brutto 2044 Euro im Monat. Netto blieben davon 1499 Euro übrig, dazu kommen 16 Euro Wohngeld. Unterm Strich blieben damit 1515 Euro verfügbares Einkommen.
Wer dagegen den Höchstsatz Bürgergeld ab 2024 bekommt plus Warmmiete (orientiert an der Statistik der Arbeitsagentur zu Wohnkosten), kommt auf 990 Euro im Monat. Der Abstand beträgt demnach 525 Euro. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt in einer ähnlichen Rechnung auf eine Differenz von 532 Euro.
Ob dieser Abstand groß genug ist, ist politisch umstritten. „Da ist eine populistische Tendenz drin zu sagen, man soll nicht Faulheit belohnen“, sagt Wieland. „Aber nur ein kleiner Teil der Menschen, die Bürgergeld beziehen, könnte arbeiten und tut es nicht.“ Das Problem liege nicht in der Höhe des Bürgergelds, sondern in der Höhe der Löhne. „Eigentlich müsste es in Deutschland selbstverständlich sein, dass jemand, der Vollzeit arbeitet, mehr hat als das Existenzminimum“, erklärt er. „Aber wir haben einen sehr großen Niedriglohnsektor, und viele Leute, die sogar aufstocken müssen.“
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