Washington. Noch ein Jahr bis zur US-Wahl: Joe Biden könnte Konkurrenz aus den eigenen Reihen bekommen – von einem Abgeordneten aus Minnesota.
Umfragen zufolge würden sich 2024 Präsident Joe Biden und sein republikanischer Vorgänger Donald Trump im Duell um den Chefsessel im Weißen Haus ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Dies, obwohl sich eine deutliche Mehrheit der Wähler Alternativen zu den zwei ältesten Kandidaten in der Geschichte wünscht. Genau ein Jahr vor der Wahl bekommt der amtierende Präsident Konkurrenz aus den eigenen Reihen. Ihm will Dean Phillips, ein weitgehend unbekannter Kongressabgeordneter aus Minnesota, den Rang ablaufen.
Dass ein amtierender Präsident in einem Wahljahr mit Gegenwind aus der eigenen Partei zu kämpfen hat, ist ungewöhnlich. Eigentlich gilt die ungeschriebene Regel, dass sich die Partei geschlossen hinter den Amstinhaber stellt, wenn er für eine zweite Amtsperiode antreten will. Eine Ausnahme bildete Donald Trump, dessen Entgleisungen, extremen politischen Positionen und chaotischer Regierungsstil eine Hand voll moderater Republikaner dazu animierten, „im Dienste der Partei und der Nation“ anzutreten.
Donald Trump: Umstritten, aber noch immer sehr erfolgreich
So umstritten der 45. Präsident auch war und bis heute ist, feierte er bei den Vorwahlen einen Durchmarsch nach dem anderen. Lediglich William Weld, der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, konnte eine Delegiertenstimme für sich verbuchen. Auf den polarisierenden Amtsinhaber Trump entfielen 2550.
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Verwundbarer könnte aber in diesem Jahr Biden sein. Wie aus einer Umfrage des Nachrichtensenders CNN und des Meinungsforschungsinstituts SSRS hervorgeht, wünschen sich 82 Prozent der demokratischen Wähler eine Alternative zu dem Präsidenten. Dies, obwohl politische Experten Biden bescheinigen, dass er solide Erfolge als Regierungschef vorzuweisen hat. Seine Unbeliebtheit bei jenen Wählern, die Biden fest auf seiner Seite haben müsste, stellt einen klaren Kontrast zu Trump dar, der vor vier Jahren aller Exzesse zum Trotz die Rückendeckung einer Mehrheit der Republikaner hatte.
USA: Joe Biden könnte Konkurrenz bekommen – von diesem Mann
Diese Schwachstelle hat auch Dean Phillips (54) erkannt, der Ende Oktober in das Rennen um die demokratische Nominierung einstieg. Der gemäßigte Demokrat, der seit 2019 den Staat Minnesota im Repräsentantenhaus vertritt, kommt aus der Privatwirtschaft. Der schwerreiche Unternehmer war Geschäftsführer der familieneigenen Schnapsbrennerei, die an den britischen Mischkonzern Unilever verkauft wurde. Später gründete er eine Kette von erfolgreichen Kaffeehäusern.
Zwar teilt Phillips die meisten politischen Positionen des Präsidenten. Er hat im Kongress die vom Weißen Haus entworfenen Gesetzesvorlagen unterstützt, erkennt Bidens Qualitäten als politischer Routinier durchaus an und verliert kein schlechtes Wort über seinen Parteifreund, im Gegenteil. „Präsident Biden hat für unser Land einen spektakulären Job gemacht“, überschüttet er diesen mit Lob. Mit Gesetzen, um die USA aus der Corona-Krise herauszuführen und die Wirtschaft gegen die Folgen der Pandemie abzufedern, um die Energiewende voranzutreiben und die marode Infrastruktur zu erneuern.
USA: Darum bringt sich Phillips gegen Biden in Stellung
Phillips meint aus anderen Gründen, dass Biden Konkurrenz in der eigenen Partei braucht. So lobenswert die politischen Errungenschaften des Präsidenten während seiner mehr als 50 Jahre in Washington auch seien, stellt der Abgeordnete fest: „Es geht bei dieser Wahl nicht um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft“. Er könne nicht tatenlos zusehen, so der Konzernlenker, „wenn die Zahlen eindeutig dafür sprechen, dass wir im November nächsten Jahres einen Notstand haben werden“.
Im Klartext: Phillips rechnet damit, dass Biden gegen Trump verlieren würde, und er hält mit seinen Sorgen nicht hinterm Berge. Er meint, der Präsidenten sei zu alt und ist im Falle eines Sieges nicht einmal sicher, dass er eine zweite Amtsperiode überleben würde. „Wir brauchen eine neue Generation, die Fackel muss weitergereicht werden, und dies ist der richtige Zeitpunkt dafür.“ Damit spricht Phillips vielen Demokraten aus der Seele. Auch sie meinen, dass Biden zu greisenhaft, zu kränklich und geistesabwesend wirkt und ungeachtet seiner erfolgreichen Karriere für eine weitere Amtsperiode der falsche Mann ist.
Zwar werden Phillips ein Jahr vor der Wahl bestenfalls Außenseiterchancen eingeräumt. Gleichwohl weisen politische Analysten darauf hin, dass der Vorwahl-Marathon noch nicht einmal begonnen hat und die sogenannten „Primaries“ immer für Überraschungen gut sein können. Auch könnte Phillips aus einem taktischen Fehler Kapital schlagen, den der Präsident begangen hat und folglich mit einem strategischen Wettbewerbsnachteil in das Wahljahr gehen.
USA: In einem Staat könnte Phillips besondere Aufmerksamkeit bekommen
So hatte Biden vergeblich dafür gekämpft, New Hampshire als Schauplatz der ersten Vorwahl von South Carolina, wo er 2020 eine fulminante Aufholjagd begann, ablösen zu lassen. Die Folge: In New Hampshire, wo am 23. Januar gewählt wird, steht Biden nicht einmal auf dem Wahlzettel und könnte mit einem Rückstand in die darauffolgenden Wochen des monatelangen Wahl-Marathons gehen.
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Ohne Konkurrenz in New Hampshire könnte Phillips nämlich als Spitzenreiter in die nächsten Vorwahlen gehen. Plötzlich würden ihm die Massenmedien Aufmerksamkeit schenken, und das könnte bei Wählern durchaus einen psychologischen Effekt zugunsten des Außenseiters entfalten. Bis zum Super Tuesday am 5. März könnte dann der Ausgang des langen Sprints bis zur demokratischen Nominierung wieder völlig offen sein.