Berlin. Nach dem Hamas-Angriff belagert Israel den Gazastreifen. Was ist das für eine Region, wer lebt dort – und sind die Bewohner Gefangene?
- Der Gazastreifen ist seit Jahren umstritten und umkämpft
- Er liegt rund um die Stadt Gaza zwischen Israel und Ägypten
- Das sollten Sie über die Region im östlichen Mittelmeer wissen
In Israel herrscht Krieg, und wieder einmal geht es um den Gazastreifen. Von dort startete die Hamas ihre Terrorattacken, dort wird in den nächsten Wochen ein blutiger Kampf geführt werden, der – in den Worten von Israels Verteidigungsminister Gallant – „dieses Ding namens Hamas auslöschen“ soll.
Was macht das Gebiet an der Grenze zwischen Ägypten und Israel so besonders? Wie ist der Gazastreifen entstanden, wer lebt heute dort – und warum wird in seinem Zusammenhang oft vom größten Freiluftgefängnis der Welt gesprochen?
Was ist der Gazastreifen?
Beim Gazastreifen handelt es sich um ein rund 365 Quadratkilometer großes Küstengebiet zwischen Israel im Osten und Norden und Ägypten im Süden. Der Gazastreifen erstreckt sich auf rund 40 Kilometer Länge und ist zwischen 13 und 6 Kilometer breit. Seine Fläche ist etwas kleiner als die des Bundeslandes Bremen.
Verwaltungszentrum des Gazastreifens ist Gaza-Stadt, weitere Städte und Ortschaften in dem Gebiet sind Chan Yunis, Dair al Balah, Rafah, Bait Lahiya und Dschabaliya. Eine Landverbindung zum Westjordanland, dem anderen Teil des palästinensischen Staatsgebiets, existiert nicht; der einzige Flughafen der israelischen Enklave, Jassir Arafat International Airport, ist seit Februar 2001 geschlossen. Wer in den Gazastreifen einreisen möchte oder diesen verlassen will, hat nur die Option, über Israel oder – mit Einschränkungen –über Ägypten zu reisen. Einreisen über den Seeweg sind laut Informationen des Auswärtigen Amtes unmöglich.
Wirtschaftlich betrachtet ist der Gazastreifen von Israel abhängig; von dort muss das Gebiet große Teile seines Energiebedarfs importieren. Das einzige Kraftwerk des Gebiets wird zudem mit Treibstofflieferungen aus Israel versorgt. Zusammen mit dem eingeschränkten Zugang für Menschen und Güter – und politischen Faktoren – sorgt dies dafür, dass von wirtschaftlicher Entwicklung im Gazastreifen nicht mehr zu sprechen ist. Die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen ist nirgendwo auf der Welt so hoch, schreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Zwei Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben keine Arbeit, keine Perspektive.
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Wie ist der Gazastreifen entstanden?
Historisch betrachtet ist der Gazastreifen das Ergebnis zweier Weltkriege, der Staatsgründung Israels, der darauf folgenden Angriffskriege der arabischen Staaten und des Teilungsplans der Vereinten Nationen. Die Region stand jahrhundertelang unter der Herrschaft des Osmanischen Reiches. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fiel Palästina unter britische Mandatsherrschaft, die 1947 am Widerstand jüdischer und arabischer Menschen scheiterte. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust war außerdem klar geworden, dass jüdisches Leben effektiv nur von einem jüdischen Staat geschützt werden kann.
Am 29. November 1947 sprachen sich die Vereinten Nationen unter anderem deshalb für die Teilung des Landes in einen arabischen und einen jüdischen Staat aus; die arabische Seite lehnte diesen Teilungsplan ab, zog in den Krieg und verlor. In der Folge musste die palästinensische Bevölkerung massenhaft fliehen, teils von der israelischen Armee vertrieben, teils von arabischer Propaganda verängstigt.
Von den bis zu 760.000 Menschen floh rund ein Viertel in den Gazastreifen, den die UN als einen Teil des Staatsgebiets eines Palästinenserstaates vorgesehen hatten. In der seither bestehenden palästinensischen Diaspora ist dieses Ereignis als Nakba (dt. „Katastrophe“) bekannt, ihre Auswirkungen dauern bis heute an.
Im ebenfalls von den arabischen Staaten vom Zaun gebrochenen Sechstagekrieg eroberte Israel den Gazastreifen und besetzte das Gebiet für fast 40 Jahre. Im September 2005 beendete Israel diesen Zustand, zog sein Militär und seine Siedler ab, zerstörte seine Siedlungen und übergab die Kontrolle über die Region an die Palästinensische Autonomiebehörde – die diese ihrerseits Jahre später an die Hamas verlor.
Wie viele Einwohner hat der Gazastreifen?
So klein der Gazastreifen ist, so viele Menschen leben dort: 2,1 Millionen. Das sind rund 20 Prozent aller Palästinenserinnen und Palästinenser – auf der Fläche eines halben Hamburgs. Von diesen sind zudem 1,6 Millionen Menschen beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert. Mit knapp 6000 Einwohnern pro Quadratkilometer ist die Bevölkerungsdichte im Gazastreifen eine der höchsten der Welt.
Wer den Gazastreifen bereist, wird sich vor allem über eines wundern: In dem Gebiet leben unheimlich viele Kinder und Jugendliche:
- 40 Prozent der Menschen, die im Gazastreifen leben, sind jünger als 14 Jahre.
- Das Durchschnittsalter beträgt 18 Jahre.
- Die Geburtenrate ist zudem enorm, in den letzten 20 Jahren hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt.
Rund 99 Prozent der Menschen in Gaza sind sunnitische Muslime, weniger als ein Prozent der Menschen dort sind Christen. Juden leben nicht mehr im Gazastreifen. Gesprochen wird neben Arabisch auch Hebräisch und Englisch.
Wem gehört der Gazastreifen?
Formell gehört der Gazastreifen zum Staatsgebiet des – von der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannten – Staates Palästina. Doch die Palästinensische Autonomiebehörde hat die Kontrolle über den Gazastreifen de facto im Jahr 2006 an die nun herrschende Hamas verloren. Die islamistische Palästinenserorganisation gewann im Januar 2006 die Wahlen und riss in der Folge die Macht an sich. Seit Juni 2007 beherrscht die Hamas den Gazastreifen.
Ihre Legitimation gründet sich nicht mehr auf soziales Engagement und demokratische Wahlen, sondern überwiegend auf Angst und Schrecken: Politische Gegner werden verfolgt, Wahlen finden nicht mehr statt, Menschenrechtsorganisationen werfen der Hamas Folter vor. Nicht zuletzt deswegen sprechen Teile der Bevölkerung des Gazastreifens hinter vorgehaltener Hand von der zweifachen Besatzung.
Israel hält die Grenzen geschlossen, kontrolliert den Zugang über das Mittelmeer und den Luftraum; wer ausreisen will, braucht eine Genehmigung und muss – oft stundenlang – an Checkpoints warten. Die Hamas beherrscht den Gazastreifen im Inneren, nach einer strikten Auslegung islamischer Ordnung autoritär. Frauen und Männer müssen in Cafés und Restaurants getrennt sitzen, Erstere sind zudem einer strengen Kleiderordnung unterworfen.
So lassen sich die Menschen im Gazastreifen durchaus als Insassen eines gigantischen Freiluftgefängnisses begreifen – bewacht von Wärtern aus zwei Welten.
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