Moskau/Eriwan. Kein Frieden für Bergkarabach: Während Aserbaidschan eine Evakuierung blockiert, fürchtet man in Armenien “ethnische Säuberungen“.
Der Vorwurf ist schwerwiegend: Vor dem UN-Sicherheitsrat warnte Armenien am Freitag vor „ethnischen Säuberungen“ in der umstrittenen Kaukasus-Region Bergkarabach. Aserbaidschan, das die Region zuletzt angegriffen hatte, bezeichnete die Militäraktion hingegen erneut als „Anti-Terror-Maßnahme“.
Der Konflikt zwischen den beiden Ländern schwelt schon seit langem, nun ist er erneut eskaliert. Dienstagfrüh hatte das aserbaidschanische Militär Bergkarabach unter Beschuss genommen, Raketen und Artillerie wurden in Richtung der umstrittenen Region abgefeuert. Nur einen Tag später gaben die heillos unterlegenen Karabach-Armenier auf. 200 Menschen wurden getötet, mehr als 400 verletzt.
Bergkarabach: Armenien sieht Absicht für "ethnische Säuberungen"
„Die Intensität und Grausamkeit der Offensive machen deutlich, dass die Absicht darin besteht, die ethnische Säuberung der armenischen Bevölkerung von Bergkarabach abzuschließen“, bewertet Armeniens Außenminister Ararat Mirzoyan die Lage. Mehr als 10.000 Menschen seien gewaltsam vertrieben, Tausende Familien auseinandergerissen worden.
Lesen Sie auch: Streit um Bergkarabach – Worum geht es in dem Konflikt?
Armenien bereitet sich jetzt auf eine mögliche Evakuierung der Menschen aus der mehrheitlich von Armeniern bewohnten, aber in Aserbaidschan gelegenen Region vor. 40.000 Plätze seien verfügbar, so Ministerpräsident Nikol Paschinjan. Nach wie vor aber blockieren aserbaidschanische Soldaten den Latschin-Korridor, die einzige Straßenverbindung von Bergkarabach nach Armenien.
Streit um Bergkarabach: Geflüchtete berichtet
Die Familie der 50-jährigen Inna Sargsjan lebt bereits seit dem Krieg von 2020 in der armenischen Hauptstadt Jerewan. In den ersten Tagen nach Kriegsbeginn sei sie aus Bergkarabach geflohen, erzählt sie unserer Redaktion. Zu Beginn sei es hart gewesen, Inzwischen habe sie ein kleines Geschäft. Ihr Mann aber sei nach wie vor arbeitslos. Die neuen Flüchtlinge werden die Armut im Land weiter verschärfen, befürchten viele.
Die Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan, beide im Südkaukasus gelegen, streiten sich seit dem Zerfall der Sowjetunion um Bergkarabach. Zunächst eroberte Armenien die Region, im Krieg von 2020 holte sich das hochgerüstete Aserbaidschan weite Teile der Region zurück. Nach der Militäraktion von dieser Woche befürchtet Armenien das endgültige Ende von Bergkarabach.
Angriff auf Bergkarabach: Aserbaidschan nutzt die Gunst der Stunde
Russland, eigentlich die Schutzmacht des Landes, bleibt derweil weitgehend untätig. Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski sagt zwar, nun müsste „eine Wiederaufnahme der Kämpfe verhindert und die Situation wieder in eine politische Richtung gelenkt“ werden. Die Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien hätten sich in Telefonaten mit Wladimir Putin zu einer Deeskalation verpflichtet. Doch in Wirklichkeit will Russland seine Handelspartner Aserbaidschan und deren Schutzmacht, die Türkei, nicht verprellen. Und auch vom Westen erwartet man in Bergkarabach nur wenig. Schließlich exportiert Aserbaidschan Gas – auch in die EU.
Aserbaidschan hat die Gunst der Stunde genutzt. Und stellt Forderungen für einen möglichen Frieden. Die armenischen Kämpfer in Bergkarabach müssten ihre Waffen abgeben, die Region müsse in das Land integriert werden. Völkerrechtlich ist Aserbaidschan damit im Recht. Der Politikwissenschaftler Alexander Iskandaryan, Direktor des Instituts für Kaukasus in Jerewan, allerdings befürchtet eine ethnische Säuberung, ein Bergkarabach ohne Armenier. „Es gibt keine Aussichten“, sagt er gegenüber unserer Redaktion. „Dieses Problem ist bereits 35 Jahre alt und es ist unmöglich, es jetzt zu lösen.“