Ratingen/Düsseldorf. NRW-Innenminister Herbert Reul spricht im Landtag über die Explosion in Ratingen. Die gefundene Leiche saß wohl teils skelettiert im Rollstuhl.
Bei der Explosion in einem Hochhaus in Ratingen bei Düsseldorf vor anderthalb Wochen sind 35 Menschen verletzt worden. Drei von ihnen befänden sich weiter in Lebensgefahr, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Montag in einer Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses. Bei den lebensgefährlich Verletzten handele es sich um eine Polizistin, einen Polizisten und einen Feuerwehrmann. Den verletzten Einsatzkräften und ihren Angehörigen sicherte Reul Unterstützung und langfristige Begleitung zu.
Die Körperoberfläche der verletzten Polizistin sei zu 80 Prozent verbrannt, sagte ein Vertreter der Justiz im Ausschuss. Herbert Reul machte noch andere schreckliche Details öffentlich: Demnach sollen schwer verletzte Einsatzkräfte brennend zehn Etagen herab auf die Straße gelaufen sein.
Gegen den Verdächtigen lag kein Gewalttätereintrag vor
Der Innenminister betonte, dass die Polizisten von einem Haftbefehl gegen 57-Jährigen wussten, der am 11. Mai den mutmaßlich den Brandanschlag in einer Wohnung in Ratingen begangen haben soll. Der Mann sei in drei Fällen zu einer Geldstrafe verurteilt worden - wegen Ohrfeigen und einem Schlag gegen Hausnachbarn. Weil er nicht gezahlt habe, sei am 27. eine Ersatzfreiheitsstrafe gegen ihn verhängt worden, erklärte Reul. Ein sogenannter Gewalttätereintrag habe jedoch nicht vorgelegen, erläuterte der Innenminister. Diese Kategorie für schwere Gewalttaten habe der Mann mit den einfachen Gewaltdelikten nicht erfüllt.
Polizei wurde wegen eines überfüllten Briefkastens gerufen
Am Morgen des 11. Mai seien die Polizisten nicht wegen der Vollstreckung des Haftbefehls im Einsatz gewesen, sondern waren von der Hausverwaltung wegen eines überfüllten Briefkastens und Verwesungsgeruchs gerufen wurden, berichtete Reul. Der Verdacht auf einen medizinischen Notfall beziehungsweise eine familiäre Tragödie habe im Vordergrund gestanden. Dass die Polizistin, die mit einem Kollegen als erste die von der Feuerwehr geöffnete Wohnung betrat, dann von dem Bewohner mit Benzin überschüttet und angezündet wurde, sei nicht vorhersehbar gewesen.
Innenminister Reul: Motiv für die Tat weiter unklar
Nach der Explosion sei Großalarm ausgelöst worden. Rund 650 Kräfte seien an dem Einsatz beteiligt gewesen. Rund 100 Einsatzkräfte hätten in den Folgetagen psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Reul bestätigte, dass in einer anderen Wohnung des Hauses nach der Räumung ein 73-jähriger Bewohner tot aufgefunden wurde. In diesem Fall ermittele die Duisburger Polizei, warum er starb. Die weibliche Leiche, die in der Wohnung des Ratingers gefunden wurde, sei bereits teilweise skelettiert gewesen und habe in einem Rollstuhl gesessen. Dabei dürfte es sich um die Mutter des Verdächtigen handeln.
Das Motiv des mutmaßlichen Täters, der sich mit leichten Verletzungen wegen neunfachem versuchten Mordes in Untersuchungshaft befindet, ist derzeit unklar, wie der Minister betonte. Gegen den Beschuldigten werde wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen ermittelt. Ein psychiatrischer Sachverständiger werde in der kommenden Woche ein Gutachten zur Schuldfähigkeit des Mannes erstellen. Mögliche Bezüge zur „Corona-Leugner“- oder „Prepper“-Szene seien bislang nicht belegt, betonte Reul. Auch der Ablauf der Brandentwicklung und der Explosion seien weiter Gegenstand der Ermittlungen.
Innenministerium sichert den Betroffenen Hilfe zu
Der Innenausschuss hatte sich auf Antrag der SPD zur Sondersitzung getroffen. Dabei ging es nicht nur um die Frage, ob die Retter womöglich besser hätten geschützt werden können, sondern auch darum, wie Opfer und ihre Familien nach solchen Taten bestmöglich begleitet werden können. Man kümmere sich intensiv um die Opfer von Ratingen, versicherte Reul. Dafür gebe es bei der Polizei und der Feuerwehr heute schon „ein verdammt gutes System“. Darüber hinaus denke das Innenministerium darüber nach, betroffenen Beamtinnen und Beamten und deren Familien persönliche „Scouts“ als Helfer an die Seite zu stellen. (dpa/epd)