Berlin. Die Kinder lesen schlecht, so die „Iglu“-Studie, wenn die Eltern nicht helfen. Das ist nicht neu. Deshalb sind wir wohl so abgestumpft.
Es ist eine Generation her: Im Jahr 2001 schreckte eine Bildungsstudie, die so hieß wie eine Stadt in der Toskana, die ganze Nation auf. Deutsche Kinder hatten beim weltweit größten Schülertest namens „Pisa“ unterdurchschnittlich abgeschnitten. Lesen Sie dazu: Studie: Lehrer behindern Bildungserfolg von Arbeiterkindern
Und weiter: Der Zusammenhang zwischen Testergebnis und elterlichem Beruf war nirgendwo so groß wie in Deutschland. Also ganz nach dem Motto: Sag mir, in welche Familie du hineingeboren wirst – und ich sage dir, was aus dir wird.
Dieser legendäre Pisa-Schock ist zwar in die Geschichtsbücher eingegangen, und er sitzt sicher immer noch tief im Gedächtnis der politischen und gesellschaftlichen Akteure, der Lehrerinnen und Lehrer, die damals tätig waren. Und seitdem wurde auch viel ausprobiert und diskutiert. Geändert aber haben sich die Ergebnisse in den Folgestudien kaum.
Der Pisa-Schock ist 20 Jahre her. Geändert hat sich wenig
Vor allem die Grundaussage, dass der Bildungserfolg wie kaum in einem anderen Land vom Elternhaus abhängt, ist aktueller denn je.
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Tatsächlich geht es nach einer minimalen Aufwärtsbewegung kurz nach dem Pisa-Schock sogar noch bergab. Seit 2017 lesen Schülerinnen und Schüler in den Grundschulen schlechter. Im weltweiten Vergleich ist Deutschland Mittelmaß, in Europa sind wir sogar unterdurchschnittlich.
Und nun das: Mittlerweile ist jedes vierte Kind eigentlich nicht darauf vorbereitet, eine weiterführende Schule zu besuchen, so das Ergebnis der aktuellen internationalen Lesestudie Iglu. Das Textverständnis reicht nicht aus. Ist ja auch klar: Wer nicht gut liest, versteht auch die Matheaufgabe nicht. Und wenn zu Hause niemand mit dem Kind liest, wenn wenig erzählt wird – dann gleicht die Schule das eben nicht aus.
Die Iglu-Studie zeigt: Jedes vierte Kind wird abgehängt
Die Folge: Der Misserfolg auf einer Gesamtschule, Sekundarschule, einer Realschule oder einem Gymnasium ist quasi für 25 Prozent der Schülerinnen programmiert. Vor ein paar Jahren waren es noch 20 Prozent, die durch den Rost des Bildungssystems fielen.
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Deutschland lässt ein Viertel seiner Kinder im Stich. Das ist nicht nur eine Tragödie für jeden einzelnen betroffenen Jungen, jedes betroffene Mädchen. Sondern auch für die gesamte Gesellschaft, der jetzt schon die Fachkräfte ausgehen.
Das kann man nur als neue Schocknachricht bewerten. Aber je öfter eine Schocknachricht wiederholt wird, desto eher nutzt sie sich eben auch ab, desto eher bleibt der Aufschrei aus – und desto naiver wird die Forderung, das Bildungssystem müsse generell auf den Prüfstand.
Die Bildungshoheit der Länder ist ein Relikt. Die Frage ist, was sie bringt.
Dabei gibt es da zwei ganz dicken Brocken: die Bildungshoheit der Länder und das frühe Aussortieren der Kinder nach Klasse vier in den meisten Bundesländern. Beides deutsche Alleinstellungsmerkmale im internationalen Vergleich – aber offenbar keine, die einen positiven Effekt auf den Bildungserfolg haben.
Die Folge: Die auf 16 Regierungen verteilte Verantwortung zerfleddert, das Ringen um einen gemeinsamen Reformprozess führt zu einem Minimalkonsens, etwa einem gemeinsamen Aufgabenpool für Schulabschlüsse. So bleibt das Bildungssystem ein Riesenchaos, in dem sich Kinder schnell verlieren.
Die Mutter nimmt Lateinkurse, um dem Sohn beim Lernen zu helfen
Noch ist zwar die Unterstützung der Eltern fest verankert. Die Mutter, die Lateinkurse nimmt, der Vater, der sich vor Klassenarbeiten freinimmt, ältere Geschwister, die das Referat kurzerhand schreiben: All das gehört zum Alltag. Doch offenbar schwinden in den Familien Bereitschaft und Möglichkeiten. Keine guten Aussichten. Es wird Zeit, die besagten dicken Brocken anzugehen.
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