Brüssel. Die EU hat die Ukraine zum EU-Beitrittskandidaten erklärt. Westbalkan-Länder, die Kandidaten sind, warnen vor falschen Hoffnungen.
Historische Entscheidung beim EU-Gipfel: Die Ukraine erhält mitten im Krieg den ersehnten Status eines EU-Beitrittskandidaten. Das entschieden die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen in Brüssel am Donnerstagabend. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dazu: „Ich bin überzeugt, dass unsere Entscheidung, die wir heute getroffen haben, uns alle stärkt“. Der Schritt zeige der Welt erneut, dass die EU angesichts äußerer Bedrohungen geschlossen stark sei. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einer „politischen Geste“.
Auch die benachbarte Republik Moldau wird Beitrittskandidat. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Union zeige sich solidarisch mit der Ukraine. Scholz sprach von einem „historischen Treffen“, mahnte aber auch Reformen der EU an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde nach der Entscheidung per Video zugeschaltet, auch er nannte die Entscheidung „historisch“. Selenskyj versicherte, die Ukraine beweise jeden Tag, dass sie schon jetzt Teil eines vereinten europäischen Werteraumes sei. Der ukrainische Präsident erklärte: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU".
Doch in Brüssel gab es auch skeptische Stimmen: „Ich hoffe, dass das ukrainische Volk sich nicht zu viele Illusionen machen wird“, sagte der albanische Ministerpräsident Edi Rama. „Es ist gut, den Kandidatenstatus zu vergeben“, meinte der frustrierte Premier. Aber andere Beitrittskandidaten warteten schon lange auf den Beginn von Verhandlungen mit der EU – sein Land Albanien seit acht Jahren, der Nachbar Nordmazedonien sogar schon 17 Jahre.
Der albanische Premier traf durchaus einen Nerv: Der Kandidatenstatus ist zwar ein wichtiger Schritt für die Ukraine, aber bis zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union kann es noch ein langer Weg sein. Erst müssen in einer nächsten Stufe die Beitrittsverhandlungen offiziell begonnen werden, bei denen geprüft wird, ob das Land die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt.
EU-Beitritt: Darum sind Serbien, Albanien & Co jetzt verärgert
Das dürfte Jahre dauern, nach Schätzungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron könnten es auch Jahrzehnte werden. Nach erfolgreichem Abschluss der Verhandlungen muss die EU die Aufnahme endgültig bestätigen.
Den sechs Staaten des Westbalkan war schon 2003 eine EU-Perspektive versprochen worden, verhandelt wird aber erst mit zwei Staaten. Und bei denen ist ein erfolgreicher Abschluss nicht in Sicht. Entsprechend schlecht war die Stimmung, als am Donnerstag die EU-Regierungschefs zunächst zu einem Westbalkan-Gipfel mit den sechs Aspiranten zusammenkamen.
Serbien, Albanien und Nordmazedonien hatten zwischenzeitlich sogar einen Boykott des Gipfels erwogen – wegen der Blockade der Beitrittsbemühungen Nordmazedoniens und Albaniens durch Bulgarien. Da half es wenig, dass Kanzler Olaf Scholz (SPD) dafür warb, aus der Beitrittsperspektive „jetzt ein glaubwürdiges Versprechen“ zu machen. An der tristen Lage änderte der Gipfel nichts, Fortschritte blieben aus.
Die große Frage nicht nur in Brüssel lautet jetzt: Überholt die Ukraine die Westbalkan-Staaten beim Marsch in die EU? Die Ausgangslage:
EU-Beitritt: Das sind die Bedingungen
Jeder europäische Staat, der die Grundwerte der EU wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anerkennt, kann einen Beitrittsantrag stellen. Dem Kandidatenstatus, den die Mitgliedstaaten einstimmig beschließen müssen, folgt die offizielle Aufnahme von Verhandlungen, bei der die Erfüllung der „Kopenhagener Kriterien“ geprüft wird: Stabile Institutionen zur Garantie von Demokratie und Rechtstaatlichkeit, wettbewerbsfähige Marktwirtschaft, die Übernahme des gesamten Rechtsbestands der EU.
Die Ausgangslage für die Ukraine
Nach der Bewertung der EU-Kommission, die Grundlage der Gipfelberatungen war, ist das Land „gut vorangekommen auf dem Weg zu stabilen Institutionen“. Die Ukraine habe in vielen Bereichen schrittweise eine Annäherung an wesentliche Teile des EU-Besitzstands erreicht. Doch seien umfangreiche Reformen in vielen Bereichen notwendig, vor allem eine Verstärkung der Korruptionsbekämpfung. Außerdem müsse ein Gesetz zur Begrenzung des Oligarchen-Einflusses auch umgesetzt werden. „Weitere Schritte“, also der offizielle Start von Beitrittsverhandlungen, sollen folgen, wenn Reformen vorangekommen sind. Es sei ein gewaltiges Programm zu stemmen, sagt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Aber sie betont: „Die Ukraine verdient den Kandidatenstatus“.
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Das erwartet die EU von Moldau
Moldau, die kleine Republik zwischen Ukraine und Rumänien, verfügt laut Kommission über eine solide Grundlage für institutionelle Stabilität und eine weitere Angleichung an den EU-Besitzstand, es gebe Fortschritte bei der Stärkung des Finanzsektors und der Rahmenbedingungen für Unternehmen verzeichnet. Am dringlichsten sind zentrale Wirtschaftsreformen, der Staatssektor gilt als viel zu groß.
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Darum liegt Serbien beim EU-Beitritt zurück
Serbien, das größte Land des Westbalkans ist schon seit zehn Jahren Beitrittskandidat, 2014 begannen die Verhandlungen. Aber erst die Hälfte der Verhandlungskapitel ist begonnen, die Umsetzung von Reformen stockt. Zuletzt häuften sich die Rückschläge: Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an und unterhält sehr enge Beziehungen zu Russland, weshalb es die EU-Sanktionen gegen Moskau nicht mitträgt. Montenegro: Das kleinste Land des Westbalkan verhandelt seit zehn Jahren mit der EU, aber erst drei von 35 Kapiteln sind abgeschlossen. Das Reformtempo hat sich verlangsamt, Probleme gibt es vor allem bei der Rechtsstaatlichkeit.
Die Ausgangslage für Nordmazedonien und Albanien
Nordmazedonien hat erhebliche Fortschritte gemacht, doch blockiert EU-Mitglied Bulgarien den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Davon betroffen ist auch Albanien, für das nur zeitgleich mit Nordmazedonien Verhandlungen eröffnet werden sollen. Problem in Albanien ist vor allem Korruption und organisierte Kriminalität.
Die Schlusslichter beim Westbalkan-Wettlauf um den EU-Beitritt
Kosovo und Bosnien-Herzegowina sind bisher nur „potenzielle“ Beitrittskandidaten. Sie gelten als politisch instabil. Zudem wird das Kosovo von fünf EU-Staaten bis heute gar nicht anerkannt - solange das so bleibt, ist ein einstimmiger Beitrittsbeschluss der EU ausgeschlossen. In Bosnien-Herzegowina fordert die EU vor allem Reformen bei Justiz und Verwaltung und ist besorgt über Abspaltungstendenzen in der serbischen Teilrepublik, der Republika Srpska.
Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.
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