Washington. Wird Donald Trump angeklagt? Das Schicksal des früheren US-Präsidenten hängt an der Entscheidung des Justizministers Merrick Garland.
Paragraf 3 des 14. Verfassungszusatzes der Vereinigten Staaten ist eindeutig: Niemand soll in Amerika ein öffentliches Amt bekleiden dürfen, der an einem „Aufstand oder einer Rebellion“ gegen die USA beteiligt war. Für Laurence Tribe und andere Hohepriester des amerikanischen Grundgesetzes ist die Passage von entscheidender Bedeutung, um eine Rückkehr Donald Trumps bei den Präsidentschaftswahlen 2024 im Keim zu ersticken.
Darum fordern sie im Lichte des laufenden Untersuchungsausschusses zu dem von Trump inspirierten blutigen Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 die strafrechtliche Verfolgung des Rechtspopulisten, den der konservative ehemalige Bundesrichter Michael Luttig vor Millionen Zuschauern an den TV-Geräten gerade als „klare und akute Gefahr für Amerikas Demokratie“ bezeichnet hat.
Adressat der Forderung, die auf ein historisches Novum hinausliefe (noch nie in über 200 Jahren US-Geschichte wurde ein Präsident vor Gericht gestellt), ist Merrick Garland. Dem Justizminister obliegt die Entscheidung, ob die Vereinigten Staaten Trump offiziell anklagen. Oder ob der Milliardär wie bei zwei gescheiterten Amtsenthebungsverfahren den Kopf aus der Schlinge ziehen kann.
800 Aufrührer sind bereits angeklagt
Nach ersten Umfragen glauben 60 Prozent der Amerikaner, dass Trump substanzielle Verantwortung für den versuchten Staatsstreich in der Herzkammer der US-Demokratie trägt und dafür zur Rechenschaft gezogen werden muss, ganz nach dem Motto, dass niemand über dem Gesetz steht. Hintergrund: Im Zusammenhang mit dem Sturm aufs Kapitol sind bisher über 800 Aufrührer angeklagt und rund 300 abgeurteilt worden; einige davon bekamen jahrelange Gefängnisstrafen.
Im U-Ausschuss wurde überdeutlich, dass der Ex-Präsident gezielt zu illegalen Mitteln griff, um seinerzeit die friedliche Machtübergabe an Wahlsieger Joe Biden zu hintertreiben.
Für Garland zeichnet sich die heikelste Entscheidung seines beruflichen Lebens ab. Zieht er Trump vor den Kadi, wird mit gewalttätigen Unruhen gerechnet. Weil Trump seinen Anhängern einreden wird, dass der politische Gegner ihn in einem Schauprozess mundtot machen will.
Lässt Garland Trump davonkommen, wären für Fachleute wie Laurence Tribe die Weichen gestellt für einen erneuten Coup-Versuch in zwei Jahren. Kronzeuge dafür ist ebenfalls die Richter-Ikone Luttig. Er hatte in spektakulärer Manier ausgesagt, dass Trump 2024 abermals versuchen würde, ein nicht genehmes Wahlergebnis zu kippen – nur diesmal erfolgreich. Reicht das bisher vom U-Ausschuss in bezwingender Form präsentierte Material aus, um Trump persönlich strafbares Handeln nachzuweisen?
Bisher nicht veröffentlichte Aufnahmen als Beweismittel
In seinen ersten vier Sitzungen hat das Gremium via Live- oder Videovernehmung sowie durch bis dahin nicht veröffentlichte Aufnahmen von den blutigen Ausschreitungen eine dichte Indizienkette aufgezogen, die auf zwei Säulen ruht: Trump war im Vorfeld des 6. Januar von hochkarätigen Beratern, Anwälten und Kabinettsmitgliedern, allen voran Ex-Justizminister Bill Barr, unmissverständlich bedeutet worden, dass es keinen Betrug zu seinen Ungunsten bei der Präsidentschaftswahl im November 2020 gegeben hat – und dass alle gegenläufigen Behauptungen (Zitat Barr) „bullshit“ sind.
Zweite Säule: Trotz dieser intimen Kenntnis hielt Trump (übrigens bis zum heutigen Tag) die Vorwürfe von der ihm „gestohlenen Wahl“ aufrecht und hetzte am Morgen des 6. Januar 2021 Tausende Anhänger bei einer Rede am Weißen Haus auf, zum Kongress zu ziehen und sich dort gegen die Zertifizierung des Wahlsieges von Biden zur Wehr zu setzen.
Dennoch bleiben etliche Juristen skeptisch. Zu einer erfolgreichen Anklage (sprich: Verurteilung) müsse das Justizministerium folgenden Nachweis führen: Dass Trump definitiv um seine Niederlage gegen Joe Biden wusste und dies auch vor Dritten äußerte. Dass er seinen Kampf gegen den angeblichen Wahlbetrug trotzdem bis zur bitteren Neige am 6. Januar führen wollte.
Dass er absichtsvoll Straftaten beging, um an der Macht zu bleiben. Etwa indem er Vizepräsident Mike Pence wider besseres Wissen drängte, die Beglaubigung des Wahlsieges von Biden durch verfassungswidrige Verfahrenstricks zu verhindern. „Die Latte für diesen Nachweis liegt sehr hoch“, sagen Verfassungsrechtler in Washington.
Trump: Der Ausschuss spinnt eine „erfundene Geschichte“
Trump hat dennoch die Gefahr einer drohenden Anklage gewittert. In einem zwölfseitigen Papier bezichtigt er den Ausschuss nicht nur der parteipolitischen Einseitigkeit. Er behauptet, Menschen, die Belege für Wahlbetrug beibringen könnten, würden bewusst ausgeklammert. Der Ausschuss spinne stattdessen eine „erfundene und verlogene Geschichte“ und versuche das Justizsystem gegen ihn „als Waffe“ einzusetzen.
In einem Nebensatz lassen Trumps neue Anwälte um den früheren Staatsanwalt Evan Corcoran durchschimmern, wie ihre Verteidigungsstrategie in einem Prozess aussehen könnte. Danach habe Trump in dem festen Glauben gehandelt, dass es in mehreren Bundesstaaten zu nennenswerten Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung gekommen sei und er das gute Recht gehabt habe, diesem Verdacht mit aller Konsequenz nachzugehen. Überzeugungstäter – ja, Straftäter – nein.