Berlin. Eine jubelnde Ehefrau, eine plaudernde Merkel und eine emotionale Warnung vor Krieg in Europa. So lief die Wiederwahl Steinmeiers.
Frank-Walter Steinmeier ist der erste deutsche Bundespräsident, dessen Wahl im Treppenhaus und auf Fluren stattfindet. Und mal wieder ist Corona an allem Schuld. Wegen der Pandemie tummeln sich die Mitglieder der Bundesversammlung am Sonntag in Berlin nicht wie sonst im Plenarsaal des Bundestags, sondern im benachbarten Paul-Löbe-Haus. Glamour ist diesem Nebengebäude eher fremd. Es ist vielmehr einer jener nüchternen Trakte, in denen Abgeordnete ihre Büros haben und Ausschüsse beraten.
Um aber den Abstandsregeln in der Pandemie gerecht zu werden, wurden die Veranstaltung hierher verlegt und nachweislich negativ getesteten Wahlleute pandemiegereicht über fünf Ebenen verteilt. Das nach innen offene Foyer erlaubt manchen von ihnen einen direkten Blick auf Steinmeier und die vielen Prominenten, die in seiner Nähe sitzen dürfen.
Doch das gilt längt nicht für alle. Knapp die Hälfte der mehr als 1400 Wahlleute muss mit einem Stuhl in den Sitzungssälen vorlieb nehmen. Von dort verfolgen sie die Wahl des Staatsoberhaupts ausschließlich über Bildschirm. Wie Fernsehzuschauer.
Bundesversammlung: Merkel plaudert mit Merz
Für die Polit-Prominenz gilt dies nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Ministerinnen und Minister sitzen ebenso mit Blick auf das Rednerpult wie Parteivorsitzende und die Regierungschefs aus den Ländern. Auch Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dabei. Bevor die Wahl beginnt, plaudert sie angeregt mit ihrem einstigen Rivalen und heutigen Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, Friedrich Merz.
Der will sich am Dienstag nach rund 20 Jahren erneut zum Fraktionschef wählen lassen. Merkel hatte ihn einst von diesem Posten verdrängt. Neben Merz steht auch CSU-Chef Markus Söder. Alle drei tragen wie vorgeschrieben FFP2-Masken. Ob sich die Dreierrunde amüsiert, ist schwer zu erkennen.
Im Mittelpunkt stehen aber nicht die vielen illustren Wahlfrauen und -männer aus Politik, Kultur, Sport und Wissenschaft, die sich an diesem Tag versammelt haben. Es geht um das Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier und um seine zweite Amtszeit. Insgesamt 1437 Wahlleute geben ihre Stimmen in den Wahlkabinen ab. Verständlich, dass dies geraume Zeit in Anspruch nimmt. Lesen Sie dazu: Diese Prominenten waren bei der Wahl des Bundespräsidenten dabei
Bundesversammlung bestätigt Steinmeier im Amt
Zweieinhalb Stunden nach Beginn der Veranstaltung verkündet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) schließlich kurz vor 14.30 Uhr das Ergebnis: Steinmeier ist mit übergroßer Mehrheit als Bundespräsident wiedergewählt.
Die Bundesversammlung bestätigt den 66-Jährigen gleich im ersten Wahlgang im Amt. Er ist nun für fünf weitere Jahre Hausherr in Schloss Bellevue. Seine Frau, die First Lady Elke Büdenbender, ist die erste Gratulantin. Sie fällt ihrem Mann auf der Ehrentribüne glücklich um den Hals.
Steinmeier, der von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition nominiert wurde, erhält 1045 von 1425 der gültigen Stimmen und kommt damit auf eine Zustimmung von rund 73 Prozent. Die Kandidaten der anderen Parteien bleiben dagegen wie erwartet chancenlos. Auf den von der Linken aufgestellten, 65-jährigen Mediziner Gerhard Trabert (65) entfallen 96 Stimmen. Das sind allerdings 25 mehr als die Gesamtzahl der anwesenden Wahlleute der Linken - und damit ein Achtungserfolg.
Kommentar: Steinmeier muss mehr Klartext wagen
Das Gleiche gilt für die von den Freien Wählern ins Rennen geschickte, 41-jährige Physikerin Stefanie Gebauer. Für sie stimmten sogar 58 Delegierte. Das sind 40 mehr als die Freien Wähler an Wahlleuten stellen dürfen. Gebauer war die einzige Frau in der Kandidatenrunde. Der von der AfD nominierte CDU-Politiker und Ökonom Max Otte (57) erhält 140 Stimmen. Die AfD durfte 151 Wahlleute entsenden.
Steinmeier richtet in erster Rede einen Appell an Putin
Steinmeier nutzt seine Ansprache im Anschluss an die Wahl, um einen Ausblick auf die nächsten fünf Jahre seiner Amtszeit zu geben. Und die Rede gerät zu einer überraschend klaren Ansage an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, dem mehr und mehr Regierungen im Westen unterstellen, einen Angriff auf die Ukraine zu planen und damit einen Krieg mitten in Europa zu provozieren.
Steinmeier legt für einige Augenblicke die verbale Zurückhaltung völlig ab. „Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Und dafür trägt Russland die Verantwortung“, sagt er unmissverständlich. In den Augen autoritärer Herrscher gälten demokratische Institutionen als schwach, Versammlungen wie diese Bundesversammlung als belanglose Rituale, demokratische Entscheidungsprozesse als Schwäche. Aber: „Ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!“ Da spricht auch der frühere Außenminister.
Steinmeier fährt fort: „Russlands Truppenaufmarsch kann man nicht missverstehen. Das ist eine Bedrohung der Ukraine und soll es ja auch sein.“ Wohl selten hat Steinmeier so sehr die Sprache des Diplomaten beiseite gelegt. Steinmeier fährt fort: „Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt!“
Bundesversammlung befasst sich mit Ukraine-Konflikt
Auch Bas betont zuvor in ihrer Eröffnungsrede: „Nutzen wir alle Möglichkeiten der Diplomatie, um die Gefahr eines Krieges zu bannen. Jeder Krieg kennt nur Verlierer“, mahnt die SPD-Politikerin mit Blick auf den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Dafür bekommt sie den ersten Beifall in der Bundesversammlung.
Steinmeier geht auch auf den Zustand der Demokratie in Deutschland ein. Der wiedergewählte Bundespräsident kritisiert die Anfeindungen gegen das freiheitliche Miteinander - besonders in zwei Jahren Corona - und mahnt zu mehr Mut. Die Gegner der Demokratie würden nach der Pandemie nicht leiser werden, „sie werden sich neue Themen suchen und vor allem neue Ängste“, sagt Steinmeier. Dagegen hilft nach seinen Worten Selbstvertrauen ohne Verzagtheit: „Machen wir uns nicht selbst klein!“, ruft Steinmeier, „seien wir nicht ängstlich! Packen wir die Zukunft bei den Hörnern!“
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