Düsseldorf. Die umstrittenen Impfpflicht im Gesundheitswesen gerät in NRW ins Wanken. Zweifel in der FDP, Furcht bei Sozialverbänden vor Personalausfällen.
Der nordrhein-westfälische FDP-Landtagsfraktionschef Christof Rasche rechnet mit der Überarbeitung des Gesetzes zur Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal. „Da ist eine Dynamik entstanden, dass dieses Gesetz womöglich verändert wird“, sagte Rasche am Mittwoch im Radiosender WDR 5. „Da wird etwas passieren, es wird nicht so bleiben, wie es ist.“
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Am Dienstag hatte CDU-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann angekündigt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht trotz Zweifeln an der Praxistauglichkeit in NRW umgesetzt werde. Zuvor hatte Bayern eine Aussetzung des Vollzugs angekündigt. Auch die CDU nannte das von ihr im Bundestag vor einem Monat mitbeschlossene Gesetz derzeit kaum umsetzbar.
Impfpflicht im Gesundheitswesen: NRW will "praxisorientierten Weg suchen"
Im Streit um die Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen bleibt NRW trotz der Kritik führender Unions-Vertreter an dem Gesetz auf Kurs, sagte auch Miniserpräsident Hendrik Wüst dieser Redaktion: „Solange die einrichtungsbezogene Impfpflicht gilt, werden wir einen möglichst praxisorientierten Weg suchen, sie umzusetzen.“ Wüst gab aber zu bedenken, dass die so genannte einrichtungsbezogene Impfpflicht in der Umsetzung auf „enorme Schwierigkeiten“ stoße: „Der Bund hat es bis heute versäumt, dafür wesentliche bundeseinheitliche Regeln vorzulegen.“
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Rasche betonte für die CDU/FDP-Koalition in NRW, dass sie „grundsätzlich gesetzestreu“ sei. Es müsse aber eine praktikable Lösung gefunden werden. Bis das Gesetz überhaupt wirke, werde es vermutlich Sommer. Es gebe auch viele rechtliche Fragen. „Keiner weiß, was im Herbst auf uns zukommt“, sagte Rasche. „Aber den Menschen zu sagen, wir führen eine Impfpflicht ein, mit der Begründung, da könnte eventuell im Herbst etwas kommen, was wir heute noch nicht kennen, diese Begründung ist sehr wackelig.“ Er habe Zweifel, dass sie vor Gericht halte.
FDP-Fraktionschef: Wissensstand zu Omikron-Virus hat sich geändert
Das Gesetz sei in einer Phase beschlossen worden, als man noch nicht gewusst habe, dass die Omikron-Variante keine starken Auswirkungen auf die Intensivstationen haben werde. „Wir haben damals ein Gesetz durchgewinkt mit den Erkenntnissen zum damaligen Zeitpunkt.“
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bekräftigte am Dienstag, dass das Gesetz in NRW „vernünftig umgesetzt“ werde, forderte aber den Bund auf, die Impfpflicht praxistauglicher zu machen. Dazu gehöre eine Klarstellung, welche Berufstätigen unter die Impfpflicht fallen und ein Leitfaden, der den Gesundheitsämtern bei der Entscheidung helfen soll, welche ungeimpften Arbeitnehmer nicht mehr arbeiten dürfen.
Laumann rechnet mit bis zu 80.000 Einzelfall-Entscheidungen in NRW über Ungeimpfte, deren Bearbeitung bis in den Sommer reichen dürfte.
Wohlfahrtspflege fordert Impfpflicht "nicht auf Biegen und Brechen"
Die Freie Wohlfahrtspflege in NRW plädiert am Mittwoch für eine Verschiebung der ab 15. März geltenden einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen Covid-19. Ansonsten seien weitere Personalausfälle zu befürchten und die Versorgungssicherheit gefährdet, warnte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege, Christian Woltering, in Wuppertal.
Die Impfquote in den Einrichtungen und Diensten der Wohlfahrtsverbände in NRW liege zwar im Schnitt bei über 90 Prozent, sagte der Landesgeschäftsführer des Paritätischen NRW. Die Personaldecke sei aber bereits sehr ausgedünnt: "Mitarbeitende sind selber an Omikron erkrankt, andere befinden sich in Quarantäne oder müssen sich um erkrankte Angehörige kümmern. Es ist nicht absehbar, dass sich die Lage kurzfristig entspannen wird.“ Wenn nun ab Mitte März weitere Mitarbeitende ausfielen, sei das nicht mehr zu stemmen.
Grundsätzlich befürworte die Freie Wohlfahrtspflege NRW die einrichtungsbezogene Impfpflicht als einen richtigen Schritt auf dem Weg zu einem möglichst umfassenden Impfschutz, betonte Woltering. „Doch nicht auf Biegen und Brechen.“ Wenn sich die Omikron-Welle abschwäche und die Gesundheitsämter wieder handlungsfähig seien, sei die Umsetzung der Impfpflicht richtig und sinnvoll, um vor allem die vulnerablen Gruppen zu schützen.
Lauterbach zu Bayern-Vorstoß: "Vollkommen falsches Signal"
Zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt, die Impfpflicht, die ab Mitte März gelten soll, vorerst nicht umzusetzen. CDU-Chef Friedrich Merz forderte die Aussetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in ganz Deutschland.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält den Vorstoß aus Bayern für „sehr problematisch“ und sprach von einem „vollkommen falschen Signal“. Die Impfpflicht sei keine Schikane gegen das Personal in Kliniken und Pflegeheimen, es gehe um den Schutz der den Mitarbeitern anvertrauten Menschen.
Der Vize-Vorsitzende des Städtetages NRW, Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), kritisierte den bayerischen Alleingang scharf: „Dass nun ein einzelnes Bundesland aus der gemeinsamen Verabredung ausschert, führt zu weiterer Verunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern rund um das Thema Impfpflicht und auch darüber hinaus“, sagte er dieser Zeitung.
Städtetag NRW ist weiter von der Impfpflicht überzeugt
Kufen stellte klar: „Wir halten die Impfpflicht für die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen weiter für richtig.“ Gerade mit Blick auf die vulnerablen Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen, in der ambulanten Pflege, in den Krankenhäusern, aber auch den Einrichtungen der Eingliederungshilfe, sowie in den niedergelassenen ärztlichen und therapeutischen Praxen sei der Städtetag NRW von einer Impfpflicht für das Personal überzeugt. „Wir müssen die Menschen in unseren Einrichtungen bestmöglich vor Infektionen mit dem Coronavirus schützen.“
Laut NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht „gesellschaftlicher Konsens“. Er forderte Hendrik Wüst auf, „dass er als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz seine Unionsländer zusammentrommelt, damit umgesetzt werden kann, was gemeinsam beschlossen wurde.“
Sozialverband VdK befürchtet "tödliches Risiko"
„Das Abrücken von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht wäre ein tödliches Risiko für rund 400.000 Pflegebedürftige in NRW“, warnte Horst Vöge, Vorsitzender des Sozialverbandes VdK NRW. Seit fast zwei Jahren werde über das Impfen von Pflegekräften gesprochen. „Weitere Aufklärungskampagnen helfen nicht weiter. Wir brauchen eine Verpflichtung“, so Vöge.
Zwar seien mindestens 95 Prozent der Beschäftigten in Kliniken und Heimen geimpft, aber im ambulanten Bereich gebe es noch keine zuverlässigen Daten dazu, und allein in NRW würden etwa 200.000 Menschen ambulant versorgt.
Vöge befürchtet zudem, der Schritt hin zu einer allgemeinen Impfpflicht würde fast unmöglich werden, wenn die einrichtungsbezogene scheitern sollte
(mit dpa)