Heinsberg/Euskirchen. Landräte kritisieren, die Corona-Statistik binde zu viel Personal in den Gesundheitsbehörden. Ministerium warnt davor, die Meldungen zu beenden.

Der eine spricht von Datenfriedhöfen, die für nichts mehr gut sind, der andere von Statistik-“Irrsinn“: Die Landräte Stephan Pusch (CDU/Kreis Heinsberg) und Stefan Ramers (SPD/Kreis Euskirchen) machen mit Video-Botschaften ihrem Ärger Luft: Die tatsächliche Corona-Lage in der Omikron-Welle lasse sich anhand der gemeldeten Neuinfektionen nicht mehr sinnvoll erfassen, binde aber Personal in den Gesundheitsämtern, das an anderer Stelle viel dringender gebraucht würde.

Die Kritik fand am Donnerstag Nachhall vom Landkreistag NRW: „Zentrale Aufgabe der Gesundheitsämter kann nicht die statistische Erfassung von Infektionsfällen sein“, kritisierte Präsident Thomas Hendele, Landrat vom Kreis Mettmann. Derzeit seien landesweit hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kommunalen Gesundheitsämter damit beschäftigt, jeden einzelnen positiv getesteten Corona-Fall aufwändig zu erfassen und für die statistische Erhebung zu übermitteln. Dies binde Personal, das anderweitig dringend gebraucht werde. „Die Aufgaben der Gesundheitsämter müssen stärker auf die aktive Pandemiebekämpfung, etwa auf den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen vor Ort ausgerichtet werden“, sagte Hendele. Der Landkreistag fordert deshalb eine „pragmatische Lösung, um den Meldeaufwand zu reduzieren.“

Corona-Statistik: Kommunen unterliegen Meldepflicht

Blick nach Heinsberg: Nach einem Wochenende etwa gelinge es den gut 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kreis-Gesundheitsamt in Heinsberg - die alleine nötig seien, um die tägliche Corona-Statistik zu pflegen - nicht mehr, alle der aufgelaufenen gemeldeten Fälle innerhalb eines Arbeitstages zu erfassen, wie es gefordert sei. „Gut 2000 Corona-Fälle blieben zuletzt liegen“, sagt eine Sprecherin. Die Erfassung sei komplex, Excel-Dateien müssten geöffnet, überprüft und jeder einzelne Fall dann händisch in ein Melde-Programm eingepflegt werden, das die Daten dann an das Landeszentrum für Gesundheit NRW (LZG) leitet und vor dort ans Robert-Koch-Institut (RKI), sagt sie.

„Wegen Meldungsrückständen, Verzögerungen in den Laboren und einer nicht zu erfassenden Dunkelziffer meldet der Kreis deshalb seit diesem Montag keine Corona-Zahlen mehr auf seiner Homepage - aus Protest. Tatsächlich aber zählt man weiter - „weil wir dazu verpflichtet sind“, sagt die Sprecherin. Konsequenz: Viele Bürger hängen in der Warteschleife beim Corona-Telefon, wo es mehr Fragen als Mitarbeiter gebe, sagt die Sprecherin.

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NRW-Gesundheitsministerium: Ausstieg aus Datenerhebung ist nicht sinnvoll

Die Gesundheitsämter werden blockiert“, durch eine Arbeit, „aus deren Daten nichts folgt“, kritisiert Landrat Pusch in seiner Videobotschaft auf dem Facebook-Kanal des Kreises Heinsberg (externer Link). Der Euskirchener Landrat Stefan Ramers machte in dieser Woche ebenfalls seinem Ärger in einer Facebook-Botschaft Luft (externer Link). „Die Resonanz anderer Landräte und Oberbürgermeister war deutlich“, sagt ein Kreis-Sprecher. Aus dem NRW-Gesundheitsministerium hingegeben habe man bis dato nichts gehört, erklärt er.

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„Der pauschale Verzicht auf jegliche Datenerhebung ist keine sinnvolle Alternative“, sagt ein Sprecher des NRW-Gesundheitsministeriums auf Anfrage. Man arbeite aber an „pragmatischen Anpassungen“, um Meldungen auch in der aktuellen „Extremsituation“ so gut wie möglich zu bewältigen. Corona-Zahlen würden „auch jetzt noch eine grundsätzlich taugliche Orientierung“ zur Entwicklung und Verbreitung geben, teilt der Sprecher mit. Ein kurzfristiger Ausstieg bei den Meldungen wäre mit absehbar hohem Aufwand im „Wiederanfahren“ verbunden, heißt es im Ministerium. Denn dann drohe, dass gemeldete Fälle „in größerer Zahl tatsächlich verloren gehen“. Das Fazit des Ministeriums: „Ein „Aussetzen“ in der Bearbeitung wäre hier eine zu einfache Antwort.“

Omikron-Variante: Meldedaten sind für RKI nach wie vor wichtig

Beim Robert-Koch-Institut hält man Meldedaten lfür weiterhin notwendig, teilte eine Sprecherin auf Nachfrage mit: „Die Meldedaten geben nach wie vor eine wichtige Information zu Größenordnung, Trends und regionaler Verteilung. RKI-Chef Lothar Wieler hatte aber bereits Mitte Januar erklärt, dass die reinen Corona-Fallzahlen angesichts der Entwicklung der aktuellen Omikron-Welle „weniger entscheidend sein werden“.

Es sei zu erwarten, dass die Fallzahlen „weniger vollständig sein werden“, je höher sich die Welle auftürme, erklärte der RKI-Chef. Statt Neu-Infektionen und 7-Tage-Inzidenz seien inzwischen andere Daten entscheidend - die unter anderem in Arztpraxen für bürokratischen Aufwand sorgen. Wieler nannte unter anderem das Intensivregister zur Belegung von Intensivstationen, die Testzahlerfassung aus Corona-Testcentern und Laboren und besonders die Statistik zu akuten Atemwegserkrankungen der Arbeitsgemeinschaft Influenza (externer Link), beim RKI. ‘Funfact’, nach Auskunft des Landeszentrums für Gesundheit: Auch die dort veröffentlichten Daten zu den Atemwegserkrankungen - neben Corona etwa zu Keuchhusten oder Influenza - werden von den örtlichen Gesundheitsämtern gesammelt, gesichtet und erfasst.

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Im Kreis Heinsberg will man die Kritik an der Corona-Statistik nicht als Kapitulation vor Omikron verstehen, sagt die Sprecherin: Die Zahlen sind so hoch, dass es letztlich nicht mehr entscheidend sei, wie hoch genau. „Wir brauchen andere Maßstäbe“, fordert man im Kreis, zumal die Lage auf den Intensivstationen ja nicht mehr so kritisch sei, wie zu Zeiten der Delta-Variante, sagt die Sprecherin.

Gleichwohl aber sind die Krankenhäuser von Entspannung weit entfernt. Die Zahl der Patienten auf den allgemeinen Stationen, bei denen Corona entdeckt wurde, steigen seit längerem nahezu täglich an. Am Mittwoch zählte die Statistik in NRW 4076 Patientinnen und Patienten. Die Daten dazu kommen aus den Kliniken.