Berlin. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert spricht im Interview über Kanzler Scholz, Herausforderer Friedrich Merz - und Schröders Gazprom-Job.
Das Namensschild neben seiner Bürotür bildet den Jobwechsel noch nicht ab: Kevin Kühnert, stellvertretender Parteivorsitzender, steht da. Kühnert trägt Pullover und Turnschuhe, schenkt sich Kaffee als der Thermoskanne nach. Im Interview spricht der neue SPD-Generalsekretär auch über sein kompliziertes Verhältnis zu Bundeskanzler Olaf Scholz.
Vor der Bundestagswahl haben Sie aufgehört zu rauchen. Halten Sie das in Ihrem neuen Job noch durch?
Kevin Kühnert: Ja, im Moment ist es fast ein bisschen leichter. Der Kalender ist noch einmal voller geworden. Und je voller der Kalender, desto weniger Gelegenheiten ergeben sich zum Rauchen.
Sie haben sich jahrelang als Gegner von Olaf Scholz profiliert und dienen ihm jetzt als Generalsekretär. Muss man ein Wendehals sein, um das zu schaffen?
Nein. Ein Generalsekretär, der Wendehals ist, hätte keinen Erfolg in seinem Amt. Ich diene auch nicht Olaf Scholz, sondern der SPD. Olaf Scholz ist Kanzler der SPD, insofern ist mein Tun auch darauf ausgerichtet, dass er seine Arbeit erfolgreich machen kann. Die Interessen der SPD gehen aber noch darüber hinaus – zeitlich und programmatisch. Es geht uns um mehr, als wir mit FDP und Grünen für eine Wahlperiode vereinbaren konnten.
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Gibt es den radikalen Kevin Kühnert noch, der den Kapitalismus überwinden will?
Der demokratische Sozialismus ist für die Sozialdemokratie die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft im Sinne einer dauernden Aufgabe. So steht es in unserem Grundsatzprogramm – und so gilt das auch für mich. Ich bin dieselbe Person, die ich immer gewesen bin. Wer auch sonst? Aber ich habe ein klares Amtsverständnis. Für politische Ämter werden wir ja nicht wie Teilnehmer im Dschungelcamp ausgewählt – also Hauptsache, irgendwie prominent, und dann auf eigene Rechnung um den Titel kämpfen. In der Politik wird man in ein Amt gewählt, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Ich habe als Generalsekretär die Aufgabe zu kommunizieren, wie die SPD die Politik gestalten möchte. Und ich arbeite an der Weiterentwicklung ihres Programms.
Der SPD laufen die Mitglieder davon – selbst im Jahr des Wahlerfolgs waren es 22.000. Wie wollen Sie den Trend umkehren?
Zunächst mal sind wir mit gut 400.000 Mitgliedern die größte Partei im Land. Und das freut uns. Aber klar: Wir wollen besser werden, und ich will insbesondere die Neueintritte steigern. Wir merken wie übrigens die meisten Organisationen und Vereine: Corona ist für gesellschaftliches Engagement eine Bürde. Es fehlt das klassische Parteileben vor Ort, die Sommerfeste und Ortsvereinstreffen. Wir werden nach Corona in manchen Bereichen eine Engagement-Delle haben, die wir aufholen müssen.
Wird die SPD jemals wieder Volkspartei sein?
Die SPD ist Volkspartei! Wenn wir jetzt mal Gewerkschaften, Kirchen und den ADAC ausklammern, finden wir in Deutschland nicht allzu viele Organisationen, die über viele Jahrzehnte solch großen Rückhalt haben. Und Volkspartei heißt auch, keine Lobbyorganisation nur für Gleichgesinnte zu sein. Wir übernehmen Verantwortung für das Ganze, nicht nur für unsere Mitglieder oder Wähler.
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Das erklärte Ziel von Olaf Scholz für die Bundestagswahl war 20 Prozent plus x. Genügt Ihnen das als Anspruch?
Vor einem Jahr war es eine mutige Ansage, heute arbeiten wir bereits für den nächsten Schritt. Erstens wollen wir, dass es nicht nur bei einer gewonnenen Bundestagswahl bleibt. Und eine Partei, die Antritt, um das Ergebnis ambitionslos zu verwalten, die wird abgewählt. Haben wir ja bei der Union gesehen. Selbstverständlich wollen wir also unsere Ergebnisse weiter verbessern, indem wir beweisen, dass man sich auf uns verlassen kann. Dann mache ich mir um den Erfolg keine Sorgen.
Friedrich Merz wird an diesem Wochenende zum CDU-Chef gewählt. Erleichtert oder erschwert Ihnen das die Arbeit?
Weder noch. Die Führungsfrage, was die CDU angeht, ist schließlich nur bedingt geklärt. Vermutlich steht der nächste Showdown in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bald an. Dort wird sich entscheiden, ob Herr Merz auch noch Herrn Brinkhaus aus dem Amt jagt. Die sind also noch einige Zeit mit sich selbst beschäftigt. Die Union bleibt trotzdem unser Hauptmitbewerber, wenn es um die politische Führung in der Bundesrepublik geht. Mit ihr ringen wir um den Weg, den unsere Gesellschaft beschreitet.
Setzen Sie darauf, dass die CDU mit Merz nach rechts rückt?
Wir alle merken ja, dass Friedrich Merz vor allem versucht, ein neues Image für sich selbst zu schaffen. Er scheint festgestellt zu haben, dass man mit seinen bislang vorgetragenen – gerade auch gesellschaftspolitischen – Positionen in Deutschland keine Mehrheiten mehr erringt und zudem potenzielle Koalitionspartner verschreckt. Das ist jedoch eine rein taktische Herangehensweise an seine neue Aufgabe. Ich halte ihn für einen Merz im Schafspelz. Bisher hören wir nur Behauptungen, die CDU müsse sich stärker der Sozialpolitik zuwenden. Ein mutiges Vorhaben für eine Partei, bei der vor Kurzem noch verächtlich von „Sozialklimbim“ gesprochen wurde.
Die Union wirft der SPD - und Ihnen persönlich - Naivität im Umgang mit Russland vor. Haben Sie eine Vorstellung, wie sich der Kreml von einem Angriff auf die Ukraine abbringen lässt?
Die Instrumente dafür müssen die Instrumente der Diplomatie sein. Punkt. Die deutsche und europäische Politik muss immer alles unternehmen, um friedliche Lösungen zu finden. Wer sich gedanklich schon vom Frieden verabschiedet, der spielt mit dem Feuer. Russland und die Ukraine, das ist unser nahes Umfeld. Wenn es dort zum Krieg kommt, dann sprechen wir über einen Krieg, der sich zwei Stunden Flugzeit von unserer Bundeshauptstadt entfernt befindet. Das machen sich manche nicht klar. Positiv ist, dass in diesen Tagen viel gesprochen wird. Wir müssen insbesondere der US-Administration von Joe Biden sehr dankbar sein, wie sehr sie sich reinkniet, um diplomatische Lösungen zu finden.
Mit welchen Sanktionen kann der Westen glaubhaft drohen?
Olaf Scholz hat ebenso wie die Außenministerin und andere Mitglieder der Bundesregierung deutlich gemacht, dass eine erneute Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen würde. Und er hat betont, dass dafür zahlreiche Optionen bestehen, die sich Deutschland klugerweise offenhält und deren Auswirkungen wohlüberlegt sein müssen. Das ist auch unsere gemeinsame Position in der SPD. Wir sind jedoch gleichzeitig überzeugt, dass all unsere politische Kraft der Lösung des Konfliktes dienen muss und nicht etwa einer endlosen innenpolitischen Debatte über mögliche Sanktionen.
Kann russisches Gas durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 nach Deutschland fließen, wenn russische Soldaten in die Ukraine einmarschieren?
Wie gesagt: Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Und alle meint auch alle. Aber erlauben Sie mir nochmals den Hinweis: Wenn wir einen Krieg auf dem europäischen Kontinent nicht verhindern könnten, dann wäre der Umgang mit Nord Stream 2 für uns Deutsche schon bald eines unserer kleineren Probleme gegenüber dem, was dann droht.
Vor einigen Tagen haben Sie über die Gaspipeline gesagt: „Alles in mir wehrt sich dagegen, dass Konflikte herbeigeredet werden, um Projekte auf diesem Wege beerdigen zu können, die einem schon immer ein Dorn im Auge waren.“ Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine ist aber nicht herbeigeredet.
Selbstverständlich ist er das nicht. Und die Verstöße gegen das Völkerrecht, die Opfer der Kampfhandlungen und die Aggressionen gegen die Ukraine, die sind bittere Realität. Ich könnte jetzt erklären, weshalb das Zitat aus dem Kontext gerissen ist, aber wenn viele ein Zitat in den falschen Hals bekommen, dann hat man sich vermutlich nicht präzise genug ausgedrückt. Das tut mir leid. Diese Situation ist schwierig. Und die Bedrohung im Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine, die geht klar von russischer Seite aus. Und trotzdem müssen wir jetzt irgendwie diesen Konflikt entschärfen.
Wie kommt es Ihnen vor, dass Altkanzler Schröder in Diensten des Kremls steht?
Ich bin als Bürger sehr dafür, dass ehemalige Regierungsmitglieder im Rahmen der geltenden Bestimmungen geschäftlich tun können, was sie wollen. Als Generalsekretär der SPD kann ich jedoch sagen, dass es unsere Arbeit in Momenten wie diesen zumindest nicht erleichtert. Ich bin aber nicht der Sprecher von ehemaligen Regierungsmitgliedern. Und es ist auch relativ offenkundig, dass die politische Führung der SPD die Lage in Russland jederzeit eigenständig und kritisch bewertet.
Ist Lobbyarbeit für russisches Gas vereinbar mit der Würde eines hohen deutschen Staatsamts?
Das muss er selbst beantworten. Ich verwahre mich aber gegen eine Behauptung, die in manchen Äußerungen mitschwingt: dass aus seiner Tätigkeit irgendetwas folgt für die Politik meiner Partei. Es gibt selbstverständlich keine geschäftlichen Verquickungen der SPD mit russischen Staatskonzernen. Wer die SPD in der Sache kritisieren möchte, der soll das mit offenem Visier tun, ohne dafür die Geschäftsbeziehungen des Altkanzlers vorzuschieben.