In Afghanistan hat ein Bundeswehrsoldat mit einer Ortskraft eng zusammengearbeitet. Unser Report führt beide in Deutschland zusammen.

Es ist ein kalter Dezembertag, zwei Tage vor Weihnachten. Trotz der Kälte klettern die Kinder auf den Geräten, lachen. Die beiden Männer stehen beieinander, der eine klein, kräftig, mit schwarzen Haaren, der andere schlank, breitschultrig, militärisch kurzer Haarschnitt.

Sie sprechen über die Zeit damals, in der ihre Leben ineinander verwoben wurden, lächeln, als sie über gemeinsame Bekannte sprechen, sie schauen ernst, als die Sprache auf die Toten kommt. Ich stehe daneben und freue mich über diese Begegnung, die den beiden so viel bedeutet, Mahmood, dem Mann aus Afghanistan, und Andreas, dem deutschen Soldaten mit der verwundeten Seele. Und ich staune darüber, wie reich an Zufällen das Leben sein kann.

Soldat Andreas Eggert: "Das hat mich mitgenommen"

Juni 2021. In einem Reihenhaus in einer ruhigen Spielstraße in Bonn-Beuel hat Oberstabsfeldwebel a. D. Andreas Eggert im Wohnzimmer die Blechkiste geöffnet, in der er die Erinnerungen an seine Zeit in Afghanistan aufbewahrt. Ein paar Medaillen, Bilder, ein großes Messer, das einem Gotteskrieger gehört hat, das schwarze Büchlein mit den Notizen, in das er schon seit Jahren nicht mehr hereingeschaut hat.

Wir haben in den Stunden davor über seine Einsätze am Hindukusch geredet, darüber, was ihn krank gemacht hat, über seine Enttäuschung und Wut über das sich abzeichnende Ende des westlichen Engagements in Afghanistan, und darüber, wie in diesen Tagen alte Wunden wieder aufreißen.

Eggert ist 45 und war zwischen 2006 und 2013 insgesamt sieben Mal in Afghanistan. Er arbeitete in Kundus, Faizabad und Masar-I-Scharif für den militärischen Abschirmdienst, war für die Beschaffung von Informationen zuständig. Einheimische Informanten wurden Vertraute, Menschen, die er als Freunde wahrnahm.

Mahmood Khanjan hat zwischen 2003 und 2011 als Ortskraft für die BW gearbeitet. Jetzt sahen sich die beiden zum ersten Mal wieder.
Mahmood Khanjan hat zwischen 2003 und 2011 als Ortskraft für die BW gearbeitet. Jetzt sahen sich die beiden zum ersten Mal wieder. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Manche dieser Menschen überlebten nicht. Er musste Videos auswerten, auf denen zu sehen war, wie Informanten von den Taliban auf grausame Weise zu Tode gefoltert wurden, nachdem sie ihn in den Wochen zuvor angefleht hatten, sie zu schützen, weil sie aufgeflogen waren. Er hatte diese Bitten um Schutz vergeblich an vorgesetzte Stellen weitergegeben. "Das hat mich mitgenommen", sagt Eggert. Er ist empört über den Umgang der Bundesregierung mit den Menschen, die als Ortskräfte für Deutschland gearbeitet haben und nun im Stich gelassen werden.

Mahmood hat zwischen 2003 bis 2011 für die Deutschen gearbeitet

August 2021. Die Bundeswehr hat Afghanistan verlassen. Ich bin vor Ort in der Hauptstadt Kabul, mit Mitarbeiterinnen des Friedensdorfs International, einer Hilfsorganisation aus Oberhausen und Dinslaken, die verletzte und kranke Kinder zur Behandlung aus Afghanistan nach Deutschland holt.

In den letzten Tagen und Wochen haben die Taliban in einer Großoffensive weite Teile des Landes eingenommen, als wir abgeflogen sind, ist die Stadt Kundus gefallen, in deren Nähe bis November 2020 Bundeswehrsoldaten stationiert waren. Die Mitarbeiter des afghanischen Roten Halbmondes, dessen Gäste wir sind, beruhigen uns. "Es wird bestimmt bis zum Frühjahr dauern, bis die Taliban Kabul angreifen", sagen sie. Sie liegen falsch.

Ich lerne Mahmood Khanjan kennen. Er ist 42, Ehemann, Vater von sechs Kindern. In den frühen 90er-Jahren war er mit dem Friedensdorf zur Behandlung in Deutschland. In den vergangenen Jahren hat er in Kundus gelebt. Mahmood erzählt mir, dass er zwischen 2003 und 2011 für die Deutschen gearbeitet hat, für die Bundeswehr und für ein Unternehmen, das militärische Einrichtungen gebaut hat. Khanjan hat Angst vor der Zukunft.

Keine Antwort auf Hilfe-Mails

"Die Taliban haben mich schon vor ein paar Jahren an einem Checkpoint angehalten. Sie wissen, dass ich für die Ausländer gearbeitet habe." Seine fünf ältesten Kinder sind Mädchen. Er will nicht, dass sie in einem Land aufwachsen müssen, in dem Frauen entrechtet werden.

Anfang August ist sein Haus in Kundus bei den Kämpfen zerstört worden, dabei sind auch viele Dokumente verloren gegangen. An seine Zeit bei der Bundeswehr erinnern nur Aufnahmen von verblichenen Fotos, auf denen er mit deutschen Soldaten zu sehen ist. Die vergangenen zehn Tage hat Mahmood mit der Familie mit Tausenden anderen Flüchtlingen in einem Park in Kabul verbracht.

Am 15. August nehmen die Taliban die afghanische Hauptstadt praktisch kampflos ein. Der Flughafen wird für den zivilen Flugverkehr geschlossen. Plünderer treiben im Schutz der Dunkelheit ihr Unwesen, immer wieder hallen Schüsse durch die Nacht.

Westliche Staaten richten eine Luftbrücke ein, um ihre Bürger und gefährdete Afghanen aus dem Land herauszubringen. Zwei Tage nach der Machtübernahme kommen wir raus aus Kabul. Ich habe zuvor die Daten von Mahmood Khanjan und seiner Familie und die von anderen Menschen mit der Bitte um Hilfe an das Auswärtige Amt geschickt. Auf die Mails gibt es keine Antwort.

Mahmood Khanjan hat sechs Kinder. Sie haben ihn nach Deutschland begleitet.
Mahmood Khanjan hat sechs Kinder. Sie haben ihn nach Deutschland begleitet. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Sprachnachrichten werden immer hoffnungsloser

Mahmood Khanjan kommt am Freitag, 20. August, mit seiner Familie zum Flughafen. Vor dem nördlichen Zugangstor herrscht noch immer Chaos, es ist das Tor zur Freiheit, Tausende Menschen wollen in den Flughafen. Die restlichen verbliebenen afghanischen Soldaten feuern Warnschüsse ab, um die Menge in Schach zu halten, US-Marinesoldaten schreien, schießen ebenfalls. Khanjan schickt immer wieder Sprachnachrichten, sie werden von Tag zu Tag hoffnungsloser.

In der Zeit telefoniere ich mit Andreas Eggert, schicke ihm Bilder von Khanjan. "Der hat mal bei mir gesessen", sagt er nach kurzem Überlegen. Auch er schreibt das Auswärtige Amt an, auch er erhält keine Antwort, er spricht mit einem befreundeten Stabsoffizier im MAD-Amt (Militärischer Abschirmdienst, d. Red.), bittet ihn um Rat.

Wiedersehen in Asylunterkunft in Viersen

Am Montagmorgen deutscher Zeit klingelt mein Telefon. Eine afghanische Telefonnummer. Am anderen Ende ist ein Bundeswehr-Soldat. Ob ich noch in Kabul sei? Ich bin erstaunt, wir sind bei dem Rettungsflug in Kabul, in Taschkent und bei der Ankunft in Frankfurt registriert worden. "Wir haben Computer-Probleme", sagt der Mann.

Ich gehe darüber hinweg, sage ihm, dass ich ihm Bilder von der Familie schicken werde und eine Kontakttelefonnummer, ich bitte ihn eindringlich, die Khanjans hereinzuholen. Eine Stunde später klingelt das Telefon bei Khanjan. Die Familie wird zum Flughafen beordert. Vier Männer in Zivil holen sie rein. Am nächsten Tag schickt der 42-Jährige ein Bild vom Frankfurter Flughafen. Sie haben es geschafft.

Die Freude über das Wiedersehen ist groß.
Die Freude über das Wiedersehen ist groß. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Und dann stehen sich an diesem kalten Dezembertag Mahmood Khanjan und Andreas Eggert vor der Flüchtlingsunterkunft im niederrheinischen Viersen gegenüber. Sie schauen sich an, lächeln. Umarmen sich. "Wie geht es dir?", fragt Eggert. "Mir geht es gut", sagt Khanjan. Er erzählt, dass er einen Asylantrag gestellt hat. Und dann spazieren sie mit der Familie durch die Kleinstadt, hin zu dem Spielplatz.

Freude über das Wiedersehen

Sie unterhalten sich über die Zeit in Afghanistan, das "Lapiz Lazuli", ein von einem Deutschen betriebene Restaurant in Kundus, wo Eggert Khanjan im Rahmen einer Sicherheitsbefragung kennengelernt hatte. "Viele der Leute, mit denen ich früher für die Deutschen gearbeitet habe, sind lange tot", sagt Khanjan. Eggert nickt. Der Deutsche schaut sich die Kinder von Khanjan an, die auf dem Spielplatz toben und ein Lächeln überzieht sein Gesicht.

"Das war ein ganz, ganz tolles Gefühl", sagt Eggert einige Tage nach dem Treffen. "Es kamen viele Erinnerungen hoch, ich hatte in den Nächten danach plötzlich wieder Träume über die Einsätze. Das hat mich weitergebracht, die Einsätze zu reflektieren." Und dann, sagt er, sei "da so viel Dankbarkeit, dass es funktioniert hat, Mahmood und seine Familie in Sicherheit zu bringen."

Mahmood Khanjan sagt nach dem Treffen: "Dass er mich erkannt hat, das hat mir sehr gut getan, das hat mich sehr gefreut." Und für mich, den Reporter, war diese Begegnung einer der schönsten Momente im Jahr 2021.