Berlin. Russland ist einer der größten Umweltsünder der Welt. Obwohl das Land unter Extremwetterlagen leidet, setzt es voll auf Öl und Gas.
In Moskau müsste die Uhr eigentlich auf zehn Sekunden vor zwölf stehen. Kaum ein Land verzeichnet drastischere Schäden des Klimawandels als Russland. Waldbrände zerstören die „grünen Lungen“ in Sibirien, die Küstengebiete am Schwarzen Meer werden überschwemmt. Der Permafrost, der zwei Drittel der gesamten Landfläche bedeckt, taut auf und lässt das Treibhausgas Methan entweichen. Die Temperaturen steigen in Russland 2,8 Mal schneller als im globalen Durchschnitt.
Und trotzdem wird das Thema Klimaschutz im Kreml nicht zur Chefsache gemacht. Präsident Wladimir Putin glänzt beim COP26-Weltklimagipfel in Glasgow durch Abwesenheit. CO2-Neutralität will Russland erst 2060 erreichen – genauso wie China, ebenfalls ein Industrie-Gigant. Vor wenigen Woche warnte Putin, eine fehlgeleitete Klimapolitik habe in Europa zu stark anziehenden Energiepreisen geführt.
Putin: Westliche Volkswirtschaften betreiben bei erneuerbaren Energien „Hysterie“
Die Konjunkturerholung nach der Coronakrise, geleerte Speicher nach dem letzten harten Winter und Spekulationen über zurückhaltende Gaslieferungen aus Russland haben den Preis auf ein Rekordhoch getrieben. Kritiker warfen Moskau vor, damit Druck für eine schnelle Genehmigung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auszuüben. Putin rügte die Transformation westlicher Volkswirtschaften in Richtung erneuerbare Energien als „Hysterie“.
Zwar sprach der Präsident im April die Klimakrise an und bezeichnete Klimathemen als nationale Priorität – zum ersten Mal. Aber lange Zeit hatte er die Gefahren des globalen Temperaturanstiegs heruntergeredet. Es sei eine Erfindung des Westens, um das rohstoffreiche Russland klein zu halten.
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„Bei zwei bis drei Grad mehr würden wir weniger Geld für Pelzmäntel ausgeben“
Noch 2018 behauptete er, die Erde erwärme sich durch „kosmische Veränderungen, irgendwelche unsichtbare Verschiebungen in der Galaxie“. 2003 spottete er: „Vielleicht ist der Klimawandel in einem so kalten Land wie dem unseren gar nicht so schlecht? Zwei bis drei Grad mehr würden keinen großen Schaden anrichten – wir werden weniger Geld für unsere Pelzmäntel ausgeben, und die Getreideernte würde üppiger ausfallen.“
Russlands Wirtschaft mag zwar heute weniger Emissionen ausstoßen als noch 1990, als die Sowjetunion mit ihrer klimaschädlichen Schwerindustrie in den letzten Zügen lag. Aber das Land hängt unverändert von Gas, Öl und Kohle ab.
40 Prozent des Staatshaushalts kommt vom Export fossiler Brennstoffe
Weltweit ist das Riesenreich im Osten der größte Exporteur von Gas. Fast 40 Prozent der Industrieproduktion besteht aus fossilen Brennstoffen. Deren Export macht fast 40 Prozent des Staatshaushalts aus. Kein Wunder: Russland ist nach China, den USA und Indien der viertgrößte Emittent von Treibhausgasen.
Daran wird sich nicht viel ändern, auch wenn Putin gelegentlich neue Töne anschlägt. Nach der 2020 verabschiedeten „Energiestrategie für Russland bis 2035“ soll die Ölproduktion konstant bleiben, die Förderung von Kohle und Gas sogar ausgeweitet werden. Themen wie erneuerbare Energien und Emissionshandel spielen keine große Rolle.
Russland hat es schwerer als China, seine Wirtschaft klimafreundlich umzustellen
„So ein starker Fokus auf fossilen Rohstoffen stellt ein bedeutendes Risiko für eine Welt unter den Pariser Klimazielen dar“, moniert die Internetplattform Climate Action Tracker (CAT). Unter Putin wird das Land so weiter den Klimawandel befeuern.
Russland bleibt eine fossile Großmacht. Innovation und Modernisierung sind keine Markenzeichen. Das Land werde es ungleich schwerer haben, seine Wirtschaft klimafreundlich umzustellen, als etwa China, betont Nikos Tsafos, Energieexperte bei der Denkfabrik Center for Strategic and International Studies in Washington.
Russlands Dilemma: 140 Millionen Menschen müssen es im Winter warm haben
Entwicklungsschübe im Bereich der erneuerbaren Energien wie in China - inzwischen ein weltweit führender Hersteller von E-Autos und Solartechnik - sind zwischen Moskau und Wladiwostok nicht zu beobachten.
Hinzu kommt ein ganz praktisches Problem: Russland ist ein kaltes und riesiges Land. Die große Herausforderung werde nicht sein, die Wirtschaft umzukrempeln, „sondern 140 Millionen Menschen im Winter zu wärmen, indem man eine andere Energiequelle benutzt“, resümiert Tsafos im US-Magazin „Time“.