Berlin. Bundesumweltministerin Svenja Schulze spricht im Interview über die Klimakonferenz. Bei den Strompreisen verspricht sie Entlastung.

In Glasgow verhandeln auf der Klimakonferenz („COP“) derzeit rund 200 Staaten über den Kampf gegen den Klimawandel, in Deutschland sprechen die möglichen Ampel-Partner über eine Koalition – und Svenja Schulze ist beides Mal mittendrin.

Im Interview erzählt die geschäftsführende Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), was sich mit der neuen Regierung im Klimaschutz ändern soll und warum sie international Grund zum Optimismus sieht.

Frau Schulze, seit knapp einer Woche läuft in Glasgow die Weltklimakonferenz. Zeit für eine Zwischenbilanz – werden wir nach dieser Konferenz auf dem Weg zu 1,5 Grad sein?

Svenja Schulze: Man kann von einer Klimakonferenz nicht die Spontan-Rettung der Welt erwarten. Mit all den Zusagen, die im Vorfeld der Konferenz gemacht wurden, ist die Welt auf 2,7 Grad Erderhitzung zugesteuert. Und es zeigt sich schon jetzt, dass wir nach Glasgow einige Schritte weiter sind in Richtung 1,5 Grad. Die Auftritte der Staats- und Regierungschefs zum Auftakt haben da zum Teil auch Mut gemacht. Nehmen wir Indien. Noch vor kurzen wurde uns sehr eindringlich erklärt, warum man sich Klimaneutralität dort in absehbarer Zeit nicht vorstellen könne – jetzt haben sie ein solches Ziel für das Jahr 2070. Das ist zwar noch zu lange hin, aber es ist ein entscheidender Schritt, weil es zu einem neuen Denken führen wird in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Indien. Und solche Schritte kommen zustande über diese Konferenzen. Das ist viel mehr als nichts. Ohne Weltklimakonferenzen wären wir auf dem Weg zu fünf bis sechs Grad Erderhitzung.

Das Ziel dieser Konferenz ist es, das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Woran wird am Ende gemessen, ob das gelungen ist?

Globaler Klimaschutz lebt vom Vertrauen, dass alle mitmachen und sich an die Regeln halten. Darum muss es auf dieser Konferenz gelingen, dass wir das Regelbuch für das Paris-Abkommen endlich abschließen. Da fehlen noch Teile, zum Beispiel zu Berichtspflichten oder zu den Regeln, nach denen man international CO2-Minderungen handeln kann. Da kommt es darauf an, Schummelei auszuschließen, denn die würde uns viel Vertrauen kosten. Und nachdem wir lange über Ziele geredet haben, geht es dieses Mal viel stärker um Maßnahmen. Wichtig ist auch, dass die Industrieländer jetzt nachgewiesen haben, dass die versprochenen 100 Milliarden Euro jährlich an Klimafinanzierung für ärmere Länder auch wirklich fließen. Nur so entsteht das nötige Vertrauen.

Die alte Bundesregierung ist nur noch geschäftsführend im Amt, die neue gibt es noch nicht. Macht das die Verhandlungssituation für Deutschland schwieriger?

Nein. Wir sind Teil einer europäischen Delegation. Und es erwartet niemand, dass sich die Klimapolitik in einer Ampelkoalition komplett ändert und wir jetzt beispielsweise in die Kohle- oder Atomenergie wieder einsteigen.

Ihre künftigen Koalitionspartner würden schon für sich in Anspruch nehmen, dass sich die Klimapolitik komplett ändert.

In den internationalen Verhandlungen gehört Deutschland immer zu den Treibern. Aber national freue ich mich auf Veränderung. In den letzten dreieinhalb Jahren musste die SPD mehr Klimaschutz gegen viele Bremser in der Union durchsetzen. Jetzt spüre ich eine Aufbruchsstimmung und gemeinsamen Gestaltungswillen. Wir gehen das als Team an, es gibt nicht nur das eine Klimaschutzministerium, sondern eine Klimaschutzregierung. Das hätte ich mir auch schon vier Jahre früher gewünscht.

Klimaneutralität ist schon für ein reiches, hoch entwickeltes Land wie Deutschland eine große Herausforderung. Wie sollen das ärmere Länder schaffen?

Das ist überhaupt nicht einfach. Wir verändern gerade die Grundlage unseres Lebens und Wirtschaftens. Wie wir heizen, wie wir mobil sind, wie die Industrie funktioniert, das wird alles neu organisiert. Das ist für Deutschland nicht leicht, für andere aber auch nicht. Deswegen geht das nur, wenn man gemeinsam vorangeht. Wir haben in Deutschland manchmal den Eindruck gehabt, wir sind die Einzigen, die Klimaschutz machen. Das stimmt aber nicht. Das ist eine weltweite Bewegung. Und sich auszutauschen darüber, was gut läuft, wie man vorankommt, auch dafür sind die Klimakonferenzen wichtig.

Aus Glasgow berichten Vertreter der Zivilgesellschaft, dass sie stundenlang vor der Tür stehen, keinen Zugang als Beobachter bekommen, und währenddessen sprechen drin Jeff Bezos und Bill Gates. Sieht so Klimagerechtigkeit aus?

Ich bin froh, dass diese COP stattfindet, auch unter Corona-Bedingungen. Mit Corona gibt es aber Schwierigkeiten, die es sonst nicht gibt. Ich hoffe sehr, dass die Veranstalter diese Probleme in den Griff bekommen. Denn die Klimakonferenz lebt davon, dass auch die, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, an ihr teilnehmen können.

Die Energiekosten steigen gerade drastisch, für Bürger und Bürgerinnen, aber auch Unternehmen. Wird es Entlastungen geben?

Eine Entlastung steht ja schon im Sondierungspapier: Die EEG-Umlage soll in Zukunft aus dem Haushalt finanziert werden, das wirkt entlastend bei den Strompreisen. Das ist sozialpolitisch sinnvoll, weil kleinere Einkommen das stärker spüren als größere. Und es setzt die richtigen ökonomischen Anreize für den Klimaschutz. Denn für Elektroautos, Wärmepumpen und Co. braucht Deutschland bezahlbaren Strom aus erneuerbaren Energien.

Über Nord Stream 2 könnte schnell mehr Gas kommen. Die Grünen sind allerdings – mit Verweis auf das Europarecht – dagegen, die Pipeline in Betrieb zu nehmen. Wie sehen Sie das?

Da gilt Recht und Gesetz. Das ist keine politische Frage, sondern eine juristische. Das entscheiden die Genehmigungsbehörden. Auch das steht im Sondierungspapier: Das europäische Recht gilt.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will über die Finanzierung der EEG-Umlage Entlastung bei den Strompreisen schaffen.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will über die Finanzierung der EEG-Umlage Entlastung bei den Strompreisen schaffen. © Reto Klar | Reto Klar

Im Gebäudesektor geht es nur sehr behäbig mit den Klimazielen voran, die Sanierungsquote liegt bei einem Prozent pro Jahr. Das wird nicht reichen, um die Klimaziele zu erzielen. Zugleich können sich manche Haushalte keine Sanierung leisten. Wäre ein Klimawohngeld ein Weg zu mehr Klimaschutz im Gebäudesektor?

Wie gesagt, wir sprechen bei den Koalitionsverhandlungen über Entlastungen. Aber zu Details möchte ich nichts sagen, das haben wir so vereinbart. Die Grundrichtung ist völlig klar: Wir wollen die Erneuerbaren schneller ausbauen und wir wollen den Klimaschutz voranbringen. Und das ist nicht mehr nur der Job der Umweltministerin. Olaf Scholz ist angetreten als Klimakanzler, und das ist ernst gemeint.

Junge Klimaaktivisten haben zum Teil das Vertrauen in die Politik verloren, sie sagen, die Lösung für diese Krise werde nicht aus der Politik kommen. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein, gar nicht. Wir machen Klimapolitik in einem demokratischen Prozess. Zum Glück. Ich habe auch noch niemanden getroffen, der mir sagen konnte, was besser ist als Demokratie, um Lösungen zu suchen. Ich halte nichts von diktatorischen Fantasien von einem ‚starken Mann‘, der das schon machen wird, übrigens auch nicht von einem starken Wissenschaftler. Um in einer Demokratie erfolgreich zu sein, muss man die Leute mitnehmen und Mehrheiten organisieren, man muss mit denjenigen reden und die überzeugen, die hart getroffen werden von der Veränderung und deren Jobs auf dem Spiel stehen. Diesen Aushandlungsprozess müssen auch wir Klimaschützer aushalten.

Tun Medien genug, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie ernst die Lage ist?

Es ist zwar Aufgabe der Medien, mich als Ministerin kritisch zu begleiten, aber es ist nicht meine Aufgabe, die Medien zu kritisieren. Wenn ich über die Erderhitzung spreche, versuche ich, auch diejenigen zu erreichen, die nicht eh schon alles wissen und hundertprozentig überzeugt sind. Das gelingt besser, wenn man nicht nur über die Größe des Problems spricht oder über abstrakte Prozentzahlen, sondern auch über die Lösungen. Das haben Sie vermutlich auch meiner optimistischen Zwischenbilanz zu Glasgow angemerkt. Ich versuche, Mut zu machen, dass Fortschritt möglich ist. Zum Glück gibt mir die Erfahrung Recht.

Schaffen wir 1,5 Grad?

Das kann kein einzelnes Land garantieren, weil es nur im globalen Miteinander gelingen kann. Manchmal kann kommt es einem fast unmöglich vor, aber es gibt auch Gründe zur Hoffnung. So viel, wie sich in den letzten Jahren beim Thema Klimaschutz bewegt hat, können wir es schaffen, die 1,5 Grad in Reichweite zu halten. Es kommt darauf an, dass die USA liefern, was sie versprochen haben, und dass China sich mehr zutraut als bisher zugesagt. Klar ist aber: Der diplomatische Einsatz wird auch nach Glasgow weitergehen müssen.