Berlin. Die UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow will versuchen, das Ziel von 1,5 Grad Erderwärmung zu halten. Eine Scheitern wäre dramatisch.
Im Kampf gegen den Klimawandel läuft der Staatengemeinschaft die Zeit davon: Sechs Jahre nach der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens kommen ab Sonntag Tausende Delegierte der Vertragsstaaten im schottischen Glasgow zusammen, um darüber zu verhandeln, wie die Welt den schlimmsten Folgen der Erderwärmung noch entgehen kann. Es gehe dabei nicht um die Frage, wer fortschrittlicher sein werde als andere, erklärte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dazu in dieser Woche. „Es geht um das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten.“
Was im ersten Moment drastisch klingt, entpuppt sich bei einem Blick auf die Sachlage als nahezu nüchterne Beschreibung der Situation. Fünf Jahre nach Paris, wo sich die Weltgemeinschaft darauf einigte, die Erderwärmung auf unter zwei Grad und möglichst auf unter 1,5 Grad zu begrenzen, führt der Weg, auf dem die Staaten aktuell sind, noch immer in die andere Richtung – und geradewegs zu auf 2,7 Grad Erwärmung, wie das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in dieser Woche berichtete.
UN-Generalsekretär: "Sind auf dem Weg zu einer Klimakatastrophe"
„The Heat is on“, hieß der Bericht, übersetzt: Es wird heiß. Die Organisation hatte für ihre Bilanz die nationalen Aktionspläne ausgewertet, die die Staaten unter dem Paris-Abkommen regelmäßig einreichen und verbessern müssen. Wird umgesetzt, was da aktuell an Emissionsreduzierungen versprochen wird, landet der Planet wohl bei 2,7 Grad Erwärmung – weit jenseits der Schwelle von 1,5 Grad, die eingehalten werden muss, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. Ohne „sofortige, schnelle und umfassende“ Reduzierungen von Treibhausgasemissionen gerate eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 oder 2 Grad außer Reichweite, heißt es im Papier. „Wir sind immer noch auf dem Weg zu einer Klimakatastrophe“, sagt UN-Generalsekretär António Guterres.
Einziger, schwacher Lichtschimmer des Berichts: die langfristigen Ziele für Treibhausgas- oder zumindest CO2-Neutralität, die sich viele Staaten in den vergangenen Jahren gegeben haben.
Klimakonferenz: Letzte Chance für Klimaschutz
Würden diese tatsächlich effektiv umgesetzt – so die UN –, bewege man sich eher auf 2,2 Grad Erwärmung zu. Etwa die Hälfte der Emissionen weltweit würde von diesen Versprechen abgedeckt. Selbst Saudi-Arabien und Australien, große Exporteure fossiler Brennstoffe, haben jetzt angekündigt, bis 2060 bzw. 2050 bei netto null Emissionen ankommen zu wollen.
Es hat sich also etwas getan, sagt Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute, aber „bei Weitem nicht genug“. Die Konferenz sei „die letzte Chance, tatsächlich das 1,5-Grad-Ziel noch in Reichweite zu halten“, sagt Höhne. Denn die entscheidende Marke könnte schon in den 2030er-Jahren überschritten werden, wie der Weltklimarat IPCC im Sommer erklärte. Und allein der Unterschied zwischen 1,5 Grad und 2 Grad Erwärmung bedeutet Studien zufolge: mehr als doppelt so viele Menschen weltweit, die extreme Hitzewellen erleben, eisfreie Sommer in der Arktis alle 10 statt alle 100 Jahre, mehr Dürren, mehr katastrophaler Starkregen.
Das Vertrauen ärmerer Länder hat in der Pandemie gelitten
Darum geht es also in Glasgow: Mit aller Macht dafür zu sorgen, dass die Tür zu einer Welt unter 1,5 Grad Erwärmung nicht ein für alle Mal zuschlägt. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) veranschaulichte im Gespräch mit unserer Redaktion die Folgen des Klimawandels. Sie würden dramatisch „vor allem für die ärmsten und verwundbarsten Länder“ sein und massive Flüchtlingsströme verursachen. Afrika zum Beispiel werde von riesigen Überschwemmungen und langen Hitzeperioden getroffen. „In den am härtesten betroffenen Ländern sterben erst die Pflanzen, dann das Vieh und dann die Menschen.“
Nach einer pandemiebedingt ausgefallenen COP im vorigen Jahr und der Belastung durch Corona wolle man sich jetzt gegenseitig darin bestärken, am Paris-Abkommen festzuhalten, sagt Susanne Dröge, Expertin für internationale Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. „So grundlegend ist der Anspruch im Moment: Möglichst viele Länder sollen zeigen, dass sie hinter den Zielen und Prozessen des Vertrags stehen“, sagt sie. „Die Konferenz ist ein Erfolg, wenn sie das Signal setzen kann, dass der Geist von Paris lebt.“
- Lesen Sie auch: „Green Britain“: Das ist Boris Johnsons Plan fürs Klima
Die Pläne der Staaten müssen dafür deutlich ehrgeiziger werden. Und auch um Geld wird es gehen, wenn die Delegationen zusammenkommen. Denn die Industrienationen, die die Hauptverursacher des Klimawandels sind, haben sich verpflichtet, ab 2020 100 Milliarden Dollar im Jahr zur Verfügung zu stellen, um bei der Bekämpfung des Klimawandels zu helfen. Doch die jährliche Summe werde erst 2023 erreicht sein, sagte in dieser Woche Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Er hatte mit Kanadas Umweltminister Jonathan Wilkinson zuletzt daran gearbeitet, reiche Länder zu Finanzzusagen zu bewegen. Die Verzögerung gilt als Hypothek für den Erfolg des Treffens.
Das Geld ist ein zentraler Knackpunkt, weil die Finanzierung als eine Frage der Gerechtigkeit wahrgenommen wird. „Dieses Geld ist die absolut wichtigste Baustelle für viele Länder, die in der Pandemie die Erfahrung gemacht haben, dass es mit der Solidarität reicher Nationen nicht so weit her war“, sagte Susanne Dröge. „Dass die Unterstützung häufig Nationalismen unterlegen ist, hat dem Vertrauen geschadet.“ Genau dieses Vertrauen ist aber entscheidend für erfolgreiche Verhandlungen.
Deutschland sendet Signal an Glagow
In Deutschland hofft man, das eigene internationale Gewicht in Glasgow für den Erfolg der COP einsetzen zu können. Die Delegation gehöre zu den Akteuren, die in der Lage seien, Brücken zu bauen zwischen den einzelnen Lagern, sagte die geschäftsführende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) in dieser Woche. „Wir haben die Expertise, die Erfahrung und die Vertrauensbasis, die Fortschritte auf solchen Konferenzen möglich machen.“ Wegen der laufenden Koalitionsverhandlungen wird sie erst in der zweiten Woche der Konferenz nach Schottland reisen.
Auch die Koalitionsverhandlungen sollen eine Botschaft nach Glasgow senden: „Mit der Sondierungsvereinbarung zu einem vorgezogenen Kohleausstieg sendet Deutschland ein starkes Signal nach Glasgow“, sagte Grünen-Klimaexperte Oliver Krischer unserer Redaktion. Der entscheidende Unterschied zur letzten Regierung sei „machen statt reden“. Die Erwartungen seien enorm, sagt er. „Das Zeitfenster für effektive Maßnahmen zur Begrenzung des Temperaturanstiegs wird immer kleiner.“