Washington. Donald Trump spaltet weiterhin die USA. Das könnte fatale oder gar gewaltsame Folgen haben, schreibt US-Korrespondent Dirk Hautkapp.

Die Dosis macht das Gift. Seit fast einem Jahr posaunt Donald Trump, wo er geht und steht, die Lüge von der "gestohlenen" Präsidentschaftswahl 2020 in die Welt hinaus. Es vergeht nahezu kein Tag, an dem der mit rund acht Millionen Stimmen Unterschied abgewählte Ex-Präsident nicht irgendwelche kruden Behauptungen aus dubiosen Untersuchungen verbreiten lässt. Sie sollen zeigen, dass Joe Biden ein illegitimer Präsident ist. Unfug.

Dagegen stehen knapp 60 Gerichtsverfahren, bis hin zum Obersten Gerichtshof in Washington, die samt und sonders das Gegenteil beglaubigen: Es gab keine Unregelmäßigkeiten, die beim Wahlgang im vergangenen November ins Gewicht fielen.

50 Millionen Amerikaner glauben an unlauteren Sieg von Trump

Weil Trumps Propaganda, unterstützt von Pseudo-Journalisten in Sendern wie Fox News, OAN oder Newsmax, aber nicht abreißt, hat sich die Mär vom finsteren demokratischen Komplott gegen Trump inzwischen im kollektiven Bewusstsein des radikal republikanisch gestimmten Amerika festgesetzt. Zuletzt zu besichtigen bei einer Trump-Kundgebung in Des Moines/Iowa, als Tausende wie gehirngewaschen riefen: "Trump hat gewonnen, Trump hat gewonnen."

Wie stark die Zweifel an der Solidität des demokratischen Systems säende Behauptung wirkt, das haben Robert Pape und sein Team von der Universität in Chicago akribisch untersucht. Danach glauben fast 50 Millionen erwachsene Amerikaner - fast jeder Fünfte im Land -, dass Trump eindeutig mit unlauteren Methoden um den Sieg gebracht worden ist.

Noch alarmierender: 21 Millionen gaben an, dass der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt sei, um Trump wieder ins Amt zu bringen. Von diesen 21 Millionen haben sieben Millionen Waffen. Drei Millionen sind im US-Militär an Waffen ausgebildet worden. Sechs Millionen sympathisieren mit rechtsgerichteten, extremistischen Gruppen. Eine Million sind dort nach eigenem Bekunden aktive Mitglieder.

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Analysten: Wahlen 2024 könnten Zerreißprobe werden

Mit ihren Zahlen bestätigen die Forscher die Befürchtung anderer Analysten, die großes Ungemach am Himmel aufziehen sehen. Derzufolge könnte die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar, die mit dem Segen von Donald Trump die offizielle Anerkennung des Biden-Wahlsieges durch den Kongress verhindern und eine konstitutionelle Krise auslösen sollte, nur der Aufgalopp zu einem noch schwereren Angriff auf das demokratische System der Vereinigten Staaten gewesen sein.

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Analysten befürchten ebenfalls, dass den USA spätestens bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024 die Zerreißprobe drohe. Ein Indiz: In fast zwei Dutzend Bundesstaaten sind die Wahlgesetze inzwischen teilweise extrem verschärft worden. Sollte Trump antreten und wieder durch vergleichsweise knappe Ergebnisse in einzelnen Regionen verlieren, können republikanisch beherrschte Landeskongresse die Listen für das "electoral college" (Wahlmänner-Gremium) nach eigenem Gutdünken mit Loyalisten bestücken. So könnten sie Trump auf scheinbar legalem Weg ins Weiße Haus bugsieren.

Befürchtet wird in demokratischen Kreisen, dass ein mehrheitlich konservativ gepolter Oberster Gerichtshof sich dieser Unterwanderung elementarer demokratischer Spielregeln nicht widersetzen könnte. Gewalt auf den Straßen von Amerika wäre dann nicht mehr auszuschließen.

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