Berlin. Erstmals seit fast drei Jahrzehnten liegt die Inflationsrate über der Marke von vier Prozent. Warum die Politik jetzt handeln muss.

Das sind alarmierende Nachrichten für Verbraucher und Unternehmen. Die Inflationsrate ist erstmals seit fast drei Jahrzehnten über die Vier-Prozent-Marke gesprungen, angeheizt vor allem durch die explodierenden Energiepreise. Ein weiterer Anstieg zum Jahresende ist wahrscheinlich. Man spürt es zwar längst beim täglichen Einkauf oder an der Tankstelle, aber das dicke Ende kommt noch. Die steigenden Preise für Gas und Öl etwa schlagen für die Haushalte erst mit Verzögerung bei der nächsten Heizkostenrechnung durch.

Und vielen Sparern ist gar nicht bewusst, wie stark der Wertverlust ihrer Bankguthaben ist, weil Inflation plus Mini- oder Negativzinsen das Ersparte vernichten: Seit Jahresanfang sind so in Deutschland still und leise Spareinlagen von über 40 Milliarden Euro verloren gegangen. Leider haben Politiker und auch viele Ökonomen die Entwicklung lange Zeit schöngeredet - und die politische Sprengkraft der Inflation unterschätzt. Inzwischen bezweifeln aber auch zunehmend Wirtschaftsexperten, dass es sich beim Preisanstieg wirklich nur um eine kurze, politisch vernachlässigbare Episode handelt. Muss die Europäische Zentralbank eingreifen?

Inflation: Tückischer Ursachen-Mix treibt Preise in Höhe

Die Lage ist brisant, weil ein tückischer Ursachen-Mix die Preise treibt: Ein dramatischer Nachfrageschub, weil die Weltwirtschaft nach dem Corona-Tief wieder anzieht, wird durch staatliche Konjunkturprogramme noch befeuert. Er hat zudem einen enormen Energiehunger ausgelöst, der Öl und Gas verteuert. Zugleich sind globale Lieferketten gestört, was den Warenstrom weiter verknappt. In Deutschland kommt die Rückkehr zur regulären Mehrwertsteuer hinzu und die politisch gewollte Energie-Verteuerung durch die CO2-Abgabe. Lesen Sie auch: Inflation: Diese Produkte sind bei Aldi, Lidl und Co. jetzt teurer

Sicher, einiges davon sind Sonder-Effekte. Aber so schnell wird sich die Lage wohl nicht wieder stabilisieren. Der Internationale Währungsfonds sieht nun erst für Mitte 2022 eine gewisse Entspannung voraus. Wie sich der Ölpreis entwickelt, wann und ob die beschädigten Lieferketten wieder reibungslos funktionieren, ist aber völlig offen. Und der Klimaschutz ist gewollt ein Energie-Preistreiber.

Die Gefahr liegt auf der Hand: Wenn sich der starke Preisanstieg verstetigt, werden Gewerkschaften höhere Löhne fordern müssen und so die bedrohliche Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Die Inflation heizt sich dann selber an - und wäre nur noch schwer wieder einzudämmen. So weit darf es die EZB, deren Inflationsziel ja bei zwei Prozent liegt, nicht kommen lassen. Sie müsste bei Zeiten die Politik des billigen Geldes beenden. Die EZB sollte sich auf eine Zinserhöhung zumindest vorbereiten.

Christian Kerl, Politik-Korrespondent.
Christian Kerl, Politik-Korrespondent.

Politik muss handeln und für Entlastung sorgen

Ein schwieriger Balanceakt, klar: Werden die Zügel angezogen, dürften die Finanzmärkte die enorme Verschuldung einiger südeuropäischer EU-Länder kritischer sehen als bisher, der Börsenboom dürfte sich abschwächen. Und auch die Unternehmen haben sich ans billige Geld gewöhnt. Es ist daher zu befürchten, dass die EZB die Kehrtwende lange, vielleicht zu lange hinausschiebt. Auch interessant: Rente: Bonus für Rentner wegen Inflation? Experten stellen Forderung

Umso wichtiger ist es, dass die Politik jetzt handelt. Vor allem bei den Energiepreisen haben es die amtierende und die künftige Bundesregierung in der Hand, etwa durch eine Senkung der staatlichen Abgaben vorübergehend für Entlastung zu sorgen. Die EU-Kommission hat mit Blick auf die teure Energie den nationalen Regierungen am Mittwoch richtige Vorschläge gemacht: Von Hilfen für ärmere Haushalte, Steuererleichterungen bis zu Subventionen für kleine Unternehmen.
Andere EU-Staaten handeln längst. Höchste Zeit für ein klares Signal der Politik in Berlin, dass auch sie den Ernst der Lage erkannt hat.