Berlin. Die Sondierungsgespräche starten. Für SPD, FDP und Grüne geht der schwierige Teil der Arbeit jetzt los, kommentiert Theresa Martus.

Bis hierher ging alles gut. Grüne, FDP und SPD haben es, eineinhalb Wochen nach der Wahl, an die Abzweigung in Richtung Ampelkoalition geschafft. Ohne öffentliches Stolpern, ohne Indiskretionen, ohne sich zumindest nach außen hin die härteren Töne des Wahlkampfs allzu übel zu nehmen. Das ist an sich schon eine Nachricht – und auch eine Leistung. Die Erinnerungen an 2017 sind schließlich bei allen Beteiligten und auch in der Öffentlichkeit frisch.

Doch der eigentliche Weg geht jetzt erst los, und er führt bergauf. Die inhaltlichen Differenzen der drei möglichen Partner sind in vielen Bereichen groß: Beim Klimaschutz zum Beispiel mögen die Ziele gleich sein, die Mittel sind es an vielen Stellen nicht. Was die Grünen häufig mit fixen Wegmarken und festen Rahmen bewerkstelligen wollen, will die FDP in die Hände von marktwirtschaftlichen Mechanismen geben. Und was Olaf Scholz vor der Wahl einen „moderaten“ Weg im Klimaschutz nannte, kann in den Augen der Grünen schnell aussehen wie eine altbekannte Verzögerungstaktik. Lesen Sie hier: Ampel: Grüne legen sich auf Wunsch-Regierungskoalition fest

Ampel-Koalition: Kein Selbstläufer

Ähnlich sieht es beim Thema Steuern und Umverteilung aus. Auch wenn man einen erheblichen Anteil Wahlkampfrhetorik aus den bisher verlautbarten Positionen abzieht, bleibt übrig, dass die Grünen sehr viel Geld investieren wollen – Geld, dass die FDP eigentlich in Steuersenkungen stecken will. Und unter vielen Differenzen in der Sache und im Detail liegt etwas viel Grundlegenderes. Sieht die FDP die Rolle des Staates vor allem darin, bestimmte Grundvoraussetzungen zu garantieren und ansonsten nicht im Weg zu sein, ist er für die Grünen letztendlich Ausdruck des Gemeinwesens – der Staat, das sind laut den Grünen wir alle, deswegen soll er auch eine prägende Rolle für die Richtung dieser Gesellschaft haben.

Theresa Martus, Politik-Korrespondentin.
Theresa Martus, Politik-Korrespondentin. © Reto Klar

Es ist nicht unmöglich, Brücken über solche Gräben zu bauen. Mit Geduld, Kreativität und dem Talent, die Ergebnisse hinterher den eigenen Leuten zu erklären, kann das gelingen. Aber ein solches Großprojekt wird auch nicht zum Selbstläufer, nur weil der Brücken-Bautrupp eine funktionierende Ebene für den persönlichen Austausch gefunden und für eineinhalb Wochen Verschwiegenheit gewahrt hat. Auf alle drei, vor allem aber auf die FDP, kommt da noch eine Menge Erklärungsarbeit zu, gegenüber ihrer eigenen Partei und ihren Wählerinnen und Wählern.

SPD, FDP und Grüne haben Chance, etwas Neues zu bauen

Überhaupt, das Schweigekartell: Absehbar werden die Sondierungsteams verzichten müssen auf ein Instrument, das ihnen bis hierher gute Dienste geleistet hat. Das eiserne Schweigen über die Inhalte der Gespräche mag bisher wichtig, vielleicht sogar unverzichtbar gewesen sein, was die Vertrauensbildung und die Atmosphäre der Treffen anbelangt. Ewig ist es aber nicht durchzuhalten.

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf zu erfahren, wie diese drei ungleichen Partner das Land regieren wollen, und das nicht erst in dem Moment, in dem die Tinte auf dem Koalitionsvertrag trocknet. Gesellschaftliche Konflikte im Hinterzimmer beizulegen kann nicht der Stil eines Bündnisses sein, das sich als „Aufbruch“ für die Republik versteht.

Spätestens wenn nach der Sondierungsphase konkrete Koalitionsverhandlungen anstehen, müssen FDP, Grüne und SPD es aushalten können, wenn es auch öffentlich wahrnehmbar zwischen ihnen knirscht. Schaffen sie das nicht, dürfte es ohnehin schwer werden mit vier Jahren gemeinsamer Regierung. Lernen sie aber, damit umzugehen, kann das Großprojekt funktionieren, und Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner haben die Chance, etwas wirklich Neues zu bauen. Der Weg, den sie bis dahin vor sich haben, hat viele Stolperfallen. Aber immerhin: Bis hierher ging alles gut.