Berlin. An diesem Sonntag steigen SPD und Union in die Sondierungen ein. Scholz und Laschet können beide noch scheitern. Auch an Kleinigkeiten.
Eine Lehre aus dem normalen Leben ist für Olaf Scholz, dass echte Zuneigung entsteht, „wenn man sich ernsthaft aufeinander einlässt“. Zuneigung? Scholz ist ein Politiker, ein reservierter Typ. Wieso redet er vor Sondierungsgesprächen mit FDP und Grünen wie ein Verliebter vor dem ersten Date?
Er muss so reden. Die SPD braucht sie, damit ER Kanzler wird. Sie können auch anders, nämlich es mit der Union versuchen. Was die kleineren Parteien vorab festlegen, werden Union oder SPD hinterher in einer Eins-zu-zwei-Verhandlungssituation schwerlich streitig stellen können. Dadurch verkürzen sie die spätere Wegstrecke und die Zeit.
Die Ausgangslage könnte kaum unterschiedlicher sein: Die SPD hat Stimmen gewonnen, die Union verloren. Die SPD tritt geschlossen und mit einer kleinen Gruppe auf, die Union vielstimmig – allein die CDU rückt zu Sondierungen mit einer zehnköpfigen Delegation an. Aber am Ende zählen die Inhalte. Es gibt Trennendes.
Woran die Ampel scheitern kann
Die FDP will die Steuern senken und insbesondere den (Rest-)Solidaritätszuschlag streichen – gut für die höheren Einkommen.
Die Vorhaben von SPD und Grünen sind wie ein Kontrastprogramm dazu. Den Spitzensteuersatz wollen sie anheben, ab einem Einkommen von 100.000 Euro für Alleinstehende und 200.000 Euro für Paare planen die Grünen einen Steuersatz von 45 Prozent, ab einem Einkommen von 250.000 bzw. 500.000 Euro soll er auf 48 Prozent steigen.
Eine Anhebung der Erbschaftsteuer oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer lehnt die FDP ab. Natürlich gibt es im Steuersystem viele Stellschrauben. Aber unterm Strich steht entweder eine Mehrbelastung oder eine Entlastung. Lesen Sie auch:Wie Olaf Scholz in einer Ampel-Koalition regieren will
Gelänge es der nächsten Regierung, das wirtschaftliche Wachstum durch Investitionen in Breitbandausbau oder in die Energiewende zu steigern, wäre den Unternehmen gedient – übrigens auch den Anlegern. FDP-Chef Christian Lindner beteuert: „Wir wollen die Investitionen in Deutschland verstärken.“
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Streitpunkte Klimaschutz, Kohleausstieg und Sozialpolitik
Das könnte die Dinge auf einem anderem Feld erleichtern, wo Milliardeninvestitionen eine Erfolgsbedingung sind: beim Klimaschutz. Die Grünen wollen das Ziel der Klimaneutralität in 20 Jahren erreichen, die SPD bis 2045, die FDP bis 2050. Fahrverbote, Tempolimits, Schluss mit Verbrennungsmotoren – das alles wollen die Grünen und wäre vielleicht mit der SPD möglich, nicht jedoch mit den Liberalen.
Den Kohleausstieg wollen die Grünen vorziehen – von 2038 auf 2030. Die FDP hält die Pläne für zu teuer und für „Symbolpolitik“. Auch die SPD würde bei der Kohle nur konditioniert nachgeben.
Die Sozialpolitik ist ein weiteres Streitfeld, gerade zwischen SPD und FDP. Es verlangt der FDP viel ab, einem Mindestlohn von zwölf Euro zuzustimmen. Die Liberalen wollen keinen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten, keinen weitreichenden Tarifzwang.
Die SPD hält an der Rente mit 67 fest, die FDP will die Altersgrenze lockern. Wer 60 Jahre alt wird und mit den Vorsorgeansprüchen mindestens auf Grundsicherungsniveau ist, soll selbst entscheiden, wann der Ruhestand beginnt. In der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik droht das härteste Tauziehen.
Woran Jamaika scheitern kann
Die von den Grünen propagierte Wiederbelebung der Vermögenssteuer ist ein Stolperstein – für Union wie FDP. Ein Tempolimit würde schon an der CSU (und der FDP) scheitern. Die Grünen wollen dem Verbrennungsmotor 2030 ein Ende setzen, der bisherige CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer will ihn auch noch 2035 fahren lassen – mit synthetischen Kraftstoffen.
Die Grünen wollen den CO-Ausstoß radikal senken. Das geht – aber: mit höheren Preisen oder Verboten. Die Union will geringere Aufschläge, um Autoindustrie oder Stahlherstellern mehr Zeit zu geben.
Unionskanzlerkandidat Armin Laschet tut sich schwer beim Kohleausstieg. Das Ende der Kohleverstromung ist 2038 geplant – das vorzuziehen (wollen die Grünen), wäre für die Kohlereviere mit Härten verbunden.
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Differenzen bei Jamaika auch bei Asyl- und Sicherheitsthemen
Die Union will die Zahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen drücken und Abschiebungen erleichtern. Das Konzept sicherer Herkunftsstaaten lehnen die Grünen ab, ebenso Abschiebungen in Kriegs- und Krisenländer. Ihr Schutz nimmt viel Platz in ihrem Programm ein. Das Wort „Asyl“ kommt 29 Mal vor.
Einbürgerungen sollen nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland möglich sein. Zwar will auch die FDP abschieben, aber sie will gut integrierten Schutzsuchenden die Chance zur Einwanderung in den Arbeitsmarkt ermöglichen.
Differenzen auch bei der inneren Sicherheit: Die Grünen wollen einen unabhängigen Bundespolizeibeauftragten und lehnen die Unionsforderung nach mehr Videoüberwachung und den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware auf öffentlichen Plätzen ebenso ab wie eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung.
Die FDP will die Zahl der Verfassungsschutzämter reduzieren, die Grünen den Geheimdienst neu aufstellen. Die Union sagt: „Jede Form einer Schwächung des Verfassungsschutzes lehnen wir ab.“